Rz. 49

In einem sehr ausführlichen "obiter dictum" setzt sich der Senat in seiner Grundsatzentscheidung auch mit der Zulässigkeit des Behindertentestaments auseinander und verneint insbes. die Möglichkeit der Überleitbarkeit des Ausschlagungsrechts des behinderten pflichtteilsberechtigten Erben nach § 2306 Abs. 1 BGB auf den Sozialhilfeträger, so dass die meisten Urteilsanmerkungen in der Entscheidung eine weitere Absicherung des in der Praxis weitverbreiteten Behindertentestaments, zumindest in der Form der Erbschaftslösung,[124] sehen.[125] An dieser Rechtslage hat sich auch nach Einführung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und dem Inkrafttreten des AGG nichts geändert.[126]

 

Rz. 50

In der Praxis wird jedoch trotz dieser im Grundsatz für die Kautelarpraxis günstigen Entscheidung ein "flankierender Pflichtteilsverzicht" im Zusammenhang mit einem Behindertentestament kaum vorkommen. Zwar wäre dieser dem Grundsatz nach sinnvoll, um das Ausschlagungsrecht des pflichtteilsberechtigen Erben nach § 2306 Abs. 1 BGB auszuschalten. Jedoch wird in den meisten Fällen ein Behindertentestament bei geistig behinderten Pflichtteilsberechtigten gewählt, die wegen ihrer fehlenden Geschäftsfähigkeit keinen Pflichtteilsverzicht erklären können. Und die dann erforderliche familiengerichtliche Genehmigung nach § 2347 BGB ist i.d.R. nicht einfach und nur unter erheblichen Auflagen zu erreichen. Offen erscheint zudem, ob ein völlig isolierter Pflichtteilsverzicht eines geschäftsfähigen, aber behinderten Sozialhilfeempfängers, der nicht als "flankierende Maßnahme" zu einem Behindertentestament erklärt wird, zulässig ist.[127]

 

Rz. 51

Noch nicht geklärt ist ferner, ob die Grundsätze des Senatsurteils auch auf einen Pflichtteilsverzicht oder eine Ausschlagungsentscheidung anderer Sozialleistungsbezieher, insbesondere im Zusammenhang mit dem Bezug von ALG II ("Hartz IV") anwendbar sind.[128] Gestaltungen in diesem Kontext werden auch als "Bedürftigentestamente" diskutiert. Auch das jüngste Urteil des BSG[129] hat in diesem Kontext keine Klärung gebracht.

[124] Dazu etwa Bengel, in: Scherer, MAH-Erbrecht, § 41 Rn 13 ff.
[125] So etwa Zimmer, ZEV 2011, 262 f.; Ivo, DNotZ 2011, 387 f.; Palandt/Ellenberger, § 138 Rn 50a, § 1937 Rn 16; gegen eine teilweise erwogene Differenzierung nach der Vermögensgröße (daher einer ausnahmsweisen Sittenwidrigkeit des Behindertentestaments bei großen Vermögen) jüngst etwa LG Essen ZEV 2016, 324; OLG Hamm RNotZ 2017, 245.
[126] Vgl. etwa Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 21 Rn 103 f.; Perau, in: Kölner Formularbuch Erbrecht, Kap. 5 Rn 522 f.
[127] Zweifelnd etwa Ihrig, NotBZ 2011, 345, 348.
[128] Bejahend etwa Dreher/Gönner, NJW 2011, 1761, 1766; Ivo, DNotZ 2011, 387, 389; Kleensang, ZErb 2011, 121, 124; offen lassend Zimmer, ZEV 2011, 2011, 262, 263; jüngst Manthey/Trilsch, ZEV 2015, 618.
[129] Vgl. BSG, ZEV 2015, ZEV 2015, 484 m. Anm. Tersteegen.

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