Rz. 1

Das Angebot an Möglichkeiten, Pflichtteilsansprüche zu reduzieren und zu vermeiden ist umfangreich. Der Markt für entsprechende Veröffentlichungen[1] und Seminare "blüht". Aber wie überall ist es auch hier: Nicht immer halten die vollmundigen Verheißungen das, was sie versprechen.

 

Rz. 2

Die effektivste Möglichkeit, den Pflichtteil als Störfaktor der vorweggenommenen Erbfolge zu beseitigen, bildet ein umfassender Pflichtteilsverzicht oder ein Erbverzicht, denn auch Letzterer umfasst i.d.R. den gesetzlichen Pflichtteil als grundsätzlich einseitig nicht entziehbare Nachlassbeteiligung.[2] Ein derartiger Verzicht ermöglicht den rechtssichersten und vollständigsten Ausschluss des gesetzlichen Pflichtteils. Er ist demnach der zielführendste Weg zur Vermeidung der durch den Pflichtteil bewirkten Liquiditäts- und sonstigen Belastungen.[3]

 

Rz. 3

Dadurch wird Planungssicherheit für den Erblasser, aber auch für den Übernehmer des Vermögens geschaffen und ihr Wunsch, die Fortführung des Unternehmens zu sichern, dadurch erleichtert. Wird auch der verzichtende Pflichtteilsberechtigte in kommunikativer Weise in die Verhandlungen einbezogen, so kann dadurch eine innerfamiliäre Befriedung erreicht und es können langjährige Gerichtsstreitigkeiten vermieden werden. Allerdings wird der Pflichtteilsberechtigte regelmäßig für seinen Pflichtteilsverzicht eine Abfindung verlangen. Man spricht hier von einem entgeltlichen Erb- oder Pflichtteilsverzicht.[4] Dieser führt wieder zu einer Liquiditätsbelastung des Unternehmens. Allerdings bleiben die Abfindungsleistungen im Allgemeinen erheblich unter dem, was im Erbfall aufgrund des Pflichtteils verlangt werden könnte. Auch kann etwa über die Einräumung einer stillen Beteiligung an dem Unternehmen eine für beide Seiten interessengerechte Lösung angestrebt werden. Andererseits hat der Verzichtende den Vorteil, dass er weit früher über entsprechende Beträge verfügen und sich damit eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen oder sichern kann.

 

Rz. 4

Der Erb- und insbesondere Pflichtteilsverzicht hat eine große praktische Bedeutung. Zu nennen sind dabei insbesondere folgende Anwendungsfälle:[5]

im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft oder bei der Unternehmensnachfolge mit flankierenden Pflichtteilsverzichten der weichenden Geschwister, insbesondere gegen eine angemessene Abfindung;
Absicherung von Verfügungen von Todes wegen, insbesondere auch im Rahmen eines Erbvertrags, namentlich wieder im Bereich der Unternehmensnachfolge durch die weichenden Erben;
Schutz des überlebenden Ehegatten im Rahmen eines Berliner Testaments (§ 2269 BGB) vor Pflichtteilsansprüchen der Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden der Ehegatten;
als flankierende Maßnahmen bei einer Wiederverheiratung, insbesondere auch bei Patchworkfamilien, etwa durch Abgabe eines Pflichtteilsverzichts des neuen Ehegatten zur Absicherung der eigenen Kindern gegen die Pflichtteilsansprüche des neuen Partners oder dessen Kinder.[6]
[1] Vgl. dazu nur die Monographie Abele/Klinger/Maulbetsch, Pflichtteilsansprüche reduzieren und vermeiden, 2010; v. Dickhuth-Harrach, Jubiläumsfestschrift Rheinisches Notariat, 1998, S. 185; v. Oertzen, ErbStB 2005, 71; von den Handbüchern zur Unternehmens- und Vermögensnachfolge etwa Scherer, in: Sudhoff, Unternehmensnachfolge, 5. Aufl. 2005, § 17 Rn 52; Thoma, in: Scherer, MAH-Erbrecht, § 29 Rn 213 ff.
[2] I.E. ebenso etwa Damrau, BB 1970, 466, 469; Horn, ZErb 2008, 411; J. Mayer, ZEV 2000, 263; Tornow, ErbStB 2009, 220, 221; vom "Königsweg" zur Vermeidung von Erbstreitigkeiten spricht etwa Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, § 1 Rn 27.
[3] Honzen, Der Pflichtteil und Unternehmensnachfolge, 2012, S. 21.
[4] Dazu etwa Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 122 ff.; Crezelius, Unternehmenserbrecht, Rn 106; Spiegelberger, Vermögensnachfolge, § 9 Rn 26 ff.
[5] Dazu etwa Staudinger/Schotten, Einl. zu §§ 2346 Rn 3; Groll/Muscheler, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, B XV Rn 5.
[6] Dazu etwa Keim, Testamentsgestaltung bei der Patchworkfamilie, in: Grziwotz, Notarielle Gestaltung bei geänderten Familienstrukturen – demographischer Wandel, faktische Lebensgemeinschaften und Patchworkfamilien, 2012, S. 46, 63 ff.

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