Rz. 41
Pflichtteilsklauseln arbeiten mit dem Prinzip von "Drohung und Verlockung" oder mit Abschreckungs- und zuteilender Wirkung.
Rz. 42
Die "Abschreckungswirkung" soll dadurch erreicht werden, dass der "illoyale" Abkömmling, der bereits nach dem Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil verlangt, beim Tod des zweiten Elternteils "enterbt" wird, oder dass der geltend gemachte Pflichtteil auf die ihm an sich zugedachte Erbquote wenigstens angerechnet wird. Wird die Enterbungslösung gewählt, so ist die Schlusserbenstellung auflösend bedingt durch das Verlangen oder die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs. Haben die Eltern sich dagegen für die sog. Trennungslösung entschieden, so kann nach dem Tod des ersten Elternteils der zum (Mit-)Nacherben berufene Abkömmling seinen Pflichtteil ohnehin nur beanspruchen, wenn er bereits vor Eintritt des Nacherbfalls die Nacherbschaft ausschlägt (§ 2306 Abs. 2 BGB). Insoweit bedarf es keiner weiteren Anordnung. Hinsichtlich des Eigennachlasses des längerlebenden Elternteils ist aber auch hier die gleiche Regelung wie beim Berliner Testament erforderlich. Die Trennungslösung führt insbesondere dann, wenn der Nachlass des erstversterbenden Elternteils größer als der des Längerlebenden ist, zu einer ganz erheblichen Pflichtteilsreduzierung, und ist jeder Pflichtteilsklausel überlegen.
Rz. 43
Der Abschreckungseffekt ist aber u.U. nur sehr begrenzt, insbesondere wenn das Eigenvermögen des längerlebenden Ehegatten im Verhältnis zu dem des erstversterbenden Elternteils relativ klein ist, da sich dann der angedrohte Wegfall der Schlusserbeneinsetzung wirtschaftlich nicht so bedeutend auswirkt.
Rz. 44
Neben diesen rein negativ, weil enterbend wirkenden Klauseln finden sich auch solche, die eine zusätzliche Zuteilung von Nachlassvermögen gewähren. So ist es auch möglich, die ihren Pflichtteil nicht verlangenden, loyalen Abkömmlinge zu belohnen, indem ihnen bereits nach dem ersten Erbfall ein Vermächtnis in beliebiger Höhe zugewandt wird, meist in Geld und in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils. Um den längerlebenden Elternteil vor den nachteiligen Folgen der sofortigen Auszahlung zu bewahren, ist dieses Vermächtnis aber noch nicht zu seinen Lebzeiten zu erfüllen. Entweder wird es bis zum Tod des zweiten Ehegatten gestundet oder sogar aufschiebend befristet erst für diesen Fall angeordnet. Tatbestandsmäßig kann die Vermächtniszuweisung dadurch bedingt sein, dass sie erst bei einem entsprechenden Pflichtteilsverlangen eines der anderen Abkömmlinge eingreift, wie bei der berühmten "Jastrow’schen Klausel" (siehe Rdn 57 ff.).
Rz. 45
Die andere Gestaltungsalternative sieht vor, den Abkömmlingen jeweils ein mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten bereits sofort anfallendes, unbedingtes Vermächtnis einzuräumen, das nur für die Abkömmlinge entfällt, die ihren Pflichtteil bereits beim ersten Erbfall geltend machen. In beiden Fällen ergibt sich eine die Pflichtteilsbelastung im zweiten Erbfall reduzierender Effekt: Bei richtiger Ausgestaltung ist diese Vermächtnisforderung eine Nachlassverbindlichkeit, die gem. § 2311 BGB bei der Berechnung des Pflichtteils mindernd in Abzug gebracht werden kann. Dadurch ergibt sich eine je nach Vermögenslage und Höhe des angeordneten Vermächtnisses mehr oder weniger stark ausfallende Verringerung der Bemessungsgrundlage des Pflichtteils der Abkömmlinge im zweiten Todesfall.