A. Pflichtteilsrecht als Determinante der Testamentsgestaltung: Vorgaben des § 2306 BGB, Regelungen zur Tragung der Pflichtteilslast, "Verweisung" auf den Pflichtteil
I. Schutz des Erbenpflichtteils – Grenzen der §§ 2305 ff., 1371 BGB
1. Ausgangssituation
Rz. 1
Das Pflichtteilsrecht setzt der Testierfreiheit Grenzen. Daher ist bei jeder Gestaltung einer Verfügung von Todes wegen an die Einflüsse des Pflichtteilsrechts zu denken und entsprechende "Störfallvorsorge" zu betreiben. Dabei können Pflichtteilsansprüche nicht nur zu einer erheblichen Liquiditätsbelastung für den Erben führen. Selbst wenn der Pflichtteilsberechtigte zum Erben eingesetzt oder ihm ein Vermächtnis zugewandt wird, drohen wesentliche Ziele der letztwilligen Verfügung verfehlt zu werden, wenn der Berechtigte in seiner erbrechtlich garantierten Mindestbeteiligung beeinträchtigt wird. Im Einzelnen ist bezüglich des Spannungsfeldes zwischen letztwilliger Zuwendung und gesetzlichem Pflichtteilsschutz nach den §§ 2305 bis 2307 BGB wie folgt zu unterscheiden:
2. Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten zum unbeschränkten und unbeschwerten Erben
Rz. 2
Ist der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil größer oder gleich seiner Pflichtteilsquote, so besteht kein Pflichtteilsanspruch. Durch eine Ausschlagung des zugewandten Erbteils verliert er diesen, erlangt aber keinen Pflichtteil. Eine Ausnahme gilt nur für den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner, wenn im Erbfall Zugewinngemeinschaft bestand, denn dieser erhält trotz der Ausschlagung seinen (sog. kleinen) Pflichtteil und den rechnerischen Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 3 BGB, § 6 S. 2 LPartG).
Rz. 3
Wird dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil unter seiner Pflichtteilsquote zugewandt, so hat er in Höhe der Differenz einen Zusatzpflichtteil (auch sog. Pflichtteilsrestanspruch; § 2305 BGB), auf den ein etwa daneben zugewandtes (Voraus-)Vermächtnis angerechnet wird (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Ausschlagung des Erbteils führt zu keinem zusätzlichen Pflichtteil, lässt aber den Pflichtteilsrestanspruch bestehen. Die Ausschlagung des Vermächtnisses führt dagegen zum vollen Pflichtteilsanspruch (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB).
3. Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten zum beschränkten oder beschwerten Erben
Rz. 4
Wird ein Pflichtteilsberechtigter zwar zum Erben eingesetzt, aber mit den in § 2306 Abs. 1 BGB genannten Anordnungen beschränkt oder beschwert, sind im Zusammenhang mit dem Pflichtteil Besonderheiten zu beachten. Dies betrifft die Fälle, in denen der pflichtteilsberechtigte Erbe durch die Einsetzung eines Nacherben, durch Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder durch eine Teilungsanordnung beschränkt oder mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist. Gleiches gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst zum Nacherben eingesetzt wird (§ 2306 Abs. 2 BGB).
Rz. 5
Die durch die Erbrechtsform 2010 abgeschwächte Fassung des § 2306 Abs. 1 BGB ist dadurch gekennzeichnet, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe, der mit einer der genannten Beschränkungen oder Beschwerungen belastet ist, sich hiergegen nur durch eine Ausschlagung der Erbschaft zur Wehr setzen kann, dafür aber immer seinen Pflichtteil erlangt. Nimmt er dagegen den belasteten Erbteil an, so bleiben die Beschwerungen und Beschränkungen bestehen und sind von ihm vollständig zu erfüllen, mag er dadurch auch wertmäßig seinen gesamten Pflichtteil verlieren.
Rz. 6
Werden mit den Beschränkungen und Beschwerungen des Erbteils besondere Zwecke zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten verfolgt, um eine freie Verfügung des Pflichtteilsberechtigten oder eine Pfändung bzw. sozialrechtliche Überleitung des Erbteils zu verhindern, besteht aber immer die Notwendigkeit, den pflichtteilsberechtigten Erben mit einem ausreichend großen Erbteil zu dotieren: Denn wenn der ihm zugewandte Erbteil unterhalb der Hälfte des gesetzlichen Erbteils liegt, entsteht für ihn der Zusatzpflichtteil (§ 2305 BGB). Dieser unterliegt dann aber ohne testamentarische Beschränkungen dem freien Zugriff des Pflichtteilsberechtigten oder seiner Gläubiger, während dies eigentlich durch den Erblasserwillen ausgeschlossen sein sollte. Typisches Beispiel ist das Behindertentestament, bei dem dann zumindest der Pflichtteilsrestanspruch auf den Sozialhilfeträger nach § 93 SGB XII übergeleitet werden könnte bzw. der Verwaltung des Betreuers und nicht des Testamentsvollstreckers unterliegt.