Rz. 67

Der Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) greift ein bei Fallgestaltungen, denen ein typischer Ablauf innewohnt.[31] Kommen mehrere Möglichkeiten für den Unfallablauf in Frage, scheidet ein Anscheinsbeweis aus.

 

Beispiel

Bei Auffahrunfällen auf der Autobahn greift ein Anscheinsbeweis regelmäßig nicht ein, wenn zwar feststeht, dass vor dem Unfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist (BGH, Urt. v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10).

 

Rz. 68

Zur Erschütterung des ersten Anscheins muss der Anspruchsgegner darlegen und beweisen, dass ein atypischer Unfallverlauf vorliegt.[32]

Soweit angeführt wird, dass ein Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden spreche, ist dies missverständlich und falsch. Missverständlich deshalb, weil Kraftfahrzeugführer bzw. -halter nicht nur aus (Allein-) Verschulden haften, sondern auch die Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist. Falsch ist es deshalb, weil der Erfahrungssatz nur beschreibt, dass sich derjenige, gegen den er spricht, falsch verhalten hat. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass sich derjenige, zu dessen Gunsten der Anscheinsbeweis greift, vollumfänglich richtig verhalten hat, existiert demgegenüber nicht, erst Recht kein Erfahrungssatz, dass der Unfall für ihn unvermeidbar war.[33] Dementsprechend kommt eine Mithaftung dessen, zu dessen Gunsten der Anscheinsbeweis greift, trotz Vorliegens der Voraussetzungen desselben sehr wohl in Betracht.

[31] BGH VersR 1964, 184, 186; BGH NJW 1987, 1944; ausführlich: Herz, NJW-Spezial 2018, 201.
[32] BGH VersR 1989, 54.
[33] Janeczek, zfs 2015, 244.

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