Dr. Gudrun Doering-Striening
a) Die Schutztrias der Erbschaftslösung
Rz. 58
Für die erbrechtliche Gestaltung zugunsten eines bedürftigen Menschen mit Behinderung muss zunächst immer festgestellt werden, was mit der geplanten oder auch nur notgedrungen hingenommenen erbrechtlichen Begünstigung im sozialhilferechtlichen Leistungsverhältnis ausgelöst wird:
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Welcher konkrete Bedarf besteht oder entsteht für einen bedürftigen Menschen mit Behinderung? |
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Welche Einkommens- und/oder Vermögensregeln gelten für diesen konkreten Bedarf? |
Rz. 59
Das Behindertentestament in der klassischen Erbschaftslösung ist in den 1970 er Jahren in der Annahme erschaffen worden, dass eine Erbschaft (gleiches gilt für ein Vermächtnis) im Sozialhilferecht immer Vermögen sei und einem bedürftigen Erben das gesamte Instrumentarium der Vermögensschontatbestände des § 90 SGB XII immer und vollständig zugutekäme. Die Grundannahme bestand darin, dass für den Sozialhilfeträger spätestens bei § 90 Abs. 3 SGB XII – der Verschonung wegen Härte – die Prüfung von verwertbarem Vermögen zu Ende sei. Kein Zivilrechtler ist damals auf die Idee gekommen, man könne eine Erbschaft, die z.B. nur aus einer Immobilie bestehe, als Einkommen behandeln. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung sieht dies heute aber anders und so kommt es dazu, dass sozialgerichtliche Entscheidungen die Freigabe von Mitteln durch den Testamentsvollstrecker als das Ende der geschützten Erbmittel ansehen.
Rz. 60
Aus der Rechtsprechung zum SGB II auf das SGB XII übertragen gilt für eine Erbschaft heute: Erbt ein Bedürftiger während des Bedarfszeitraumes, so handelt es sich bei der Erbschaft um Einkommen im Sinne der §§ 82 ff. SGB XII. Erbt der Betroffene vor dem Bedarfszeitraum, so handelt es sich um Vermögen (§ 90 SGB XII).
Einmalige Einnahmen können sich nach § 82 Abs. 7 SGB XII nach Ablauf des sechsmonatigen Verteilungszeitraums in Vermögen umwandeln. Stellt eine Erbschaft eine einmalige Einnahme dar, so wird sie, für den Fall, dass der Leistungsanspruch ansonsten entfiele, gleichmäßig auf sechs Monate verteilt. Danach wandelt sich einmaliges Einkommen in Vermögen um. Ab dann gelten die Vorschriften zum Vermögen (§§ 90, 91 SGB XII).
Rz. 61
Aufgabe des erbrechtlichen Gestalters ist es heute, durch das Behindertentestament nicht mehr nur um das aus dem Erbfall zufließende Vermögen erbrechtlich einen "Schutzring" zu legen, der verhindert, dass der Betroffene den Zufluss bedarfsdeckend in der Sozialhilfe einsetzen muss, sondern dies gleichermaßen auch für das Einkommen mit zu bedenken.
aa) Der erste "Schutzring" = (nicht befreite) Vorerbschaft/Nacherbschaft oberhalb des Pflichtteilanspruches
Rz. 62
Im "klassischen" Behindertentestament“ in der Form der Erbschaftslösung wird eine nichtbefreite Vorerbschaft/Nacherbschaft (§§ 2113 ff. BGB) angeordnet.
(1) Oberhalb des Pflichtteilsanspruchs
Rz. 63
Durch die Enterbung eines Kindes entstehen Pflichtteilsansprüche (§§ 2303 ff. BGB), die sozialhilferechtlich verwertbar sind. Die Enterbung eines Kindes ist daher nur ausnahmsweise dann einmal sinnvoll, "wenn es nicht darauf ankommt", wenn also der Nachlass so klein ist, dass dem Kind so oder so kaum etwas zugutekommen kann.
Rz. 64
Je nach Zielsetzung wird bei der Erbschaftslösung die Erbeinsetzung mit der vollen gesetzlichen Erbquote angeordnet, zumeist aber nur knapp oberhalb der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Das Gesetz gibt dem mit einer Nacherbschaft belasteten Erben die Möglichkeit auszuschlagen (§ 2306 BGB) und gleichwohl den Pflichtteil zu erhalten. Damit der Begünstigte die Motivation behält, die Erbschaft nicht auszuschlagen, sondern sich mit den sehr weitreichenden Einschränkungen des Behindertentestaments zu bescheiden, muss er in der Regel mehr bekommen als seinem Pflichtteilsanspruch entspricht.
(2) Die Nutzungen des Nachlasses
Rz. 65
Wenn für den Erben von dem Erblasser nicht befreite Vor- und Nacherbschaft angeordnet wurde, so ist der Nachlass mit einer Verfügungsbeschränkung belastet, die störende Dritte wie das Sozialamt von der Nachlasssubstanz fernhält. Der Erbe kann beispielsweise nicht über Immobilienvermögen verfügen und auch nichts verschenken. Die Nachlasssubstanz bleibt für den Nacherben erhalten. Und weil der Nacherbe nicht vom Vorerben erbt, sondern vom nicht sozialhilfebedürftigen Erblasser, wird mit diesem "ersten Schutzring" gleichzeitig die sozialhilferechtliche Erbenhaftung nach § 102 SGB XII ausgeschaltet. Die nicht befreite Vorerbschaft zeichnet sich vereinfacht gesagt dadurch aus, dass "der Vorerbe die Kuh melken, aber nicht schlachten darf." Zu weiteren Einzelheiten vgl. § 3 Rdn 260 ff.
Rz. 66
Das bedeutet aber auch, dass die Aufgabe, dem Begünstigten sozialhilfeunschädlich Leistungen, die über die Sozialhilfeleistungen hinausgehen, zukommen zu lassen, mit der Anordnung einer Vorerbschaft/Nacherbschaft noch nicht gelöst ist. Nach §§ 2111 Abs. 1 S. 1, 2133 BGB ergibt sich, dass dem Vorerben die ordnungsgemäß ...