Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 223
Für den Erblasser wie für den Testamentsvollstrecker ist es unabdingbar zu wissen, welche Mittel "bereite" Mittel im Sinne des Sozialhilferechtes sind und welche normativ geschont sind. Die letztwillige Verfügung sollte für den Testamentsvollstrecker ein hinreichend klarer Wegweiser für ein "To do or not to do" sein.
Eines der Hauptprobleme der Dauertestamentsvollstreckung in der Praxis besteht darin, auf fehlende Verwaltungsanordnungen zu reagieren und vorhandene Verwaltungsanordnungen (§ 2216 Abs. 2 BGB) richtig umzusetzen bzw. falsche Anweisungen ggf. über § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB korrigieren zu lassen. In nachrangigen Leistungssystemen gilt der Leitsatz: "Wenn der Bedarf gedeckt ist, ist er gedeckt." Außer im Rahmen der Nothilfe kommt es auf den Grund nicht an. Gleichermaßen typisch wie schädlich sind deshalb Verwaltungsanordnungen, in denen der Testamentsvollstrecker angewiesen wird, dem Bedürftigen Zuwendungen zu machen, die den von den Sozialleistungen an sich abgedeckten Bedarf abdecken sollen. Im doppelten Sinne falsch ist z.B. die Anweisung: "Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen, meinen Enkeln Beträge im angemessenen Umfang zukommen zu lassen, die insbesondere für eine sachgemäße Berufsausbildung notwendig sind. Dies erfasst z.B. auch die finanzielle Unterstützung bei einem Auslandsstudium oder einem auswärtigen Studium." Geld ist im Bedarfszeitraum immer Einkommen und mangels eines gesetzlichen Verschonungstatbestand immer schädlich. Das gilt auch für die Verwaltungsanordnung "Taschengeld zu leisten oder für die Anschaffung von Gegenständen wie z.B. Kleidung, die vom Regelbedarf abgedeckt werden, Geld auszuzahlen". Selbst die Leistung bedarfsdeckender oder "versilberbarer" Gegenstände ist schädlich.
Rz. 224
Klassiker in diesem Zusammenhang sind zwei Fälle des LSG Niedersachsen-Bremen, in denen das Gericht Leistungen nach dem SGB II wegen einer "Überdeckung des grundsicherungsrechtlichen Bedarfs" bzw. "Vollversorgung" des Hartz-IV-Beziehers versagt hatte. Das SG Düsseldorf hat in jüngster Zeit eine auf Bedarfsdeckung gerichtete Verwaltungsanordnung einer Großmutter angenommen, die angeordnet hatte, der Klägerin aus dem Erbe "Beträge in angemessenem Umfang zukommen zu lassen". Dies sollten Beträge sein, die insbesondere für eine sachgerechte Berufsausbildung notwendig seien. Beispielhaft wurde dazu die finanzielle Unterstützung bei einem Auslandsstudium oder einem auswärtigen Studium genannt. Das führte zur Leistungsversagung.
Ruby spricht unter Hinweis auf die Verfasserin davon, dass Freigaben keinesfalls ohne konkrete Zweckbestimmungen erfolgen dürften. M.E. ist das zu eng. Zweckbestimmungen hindern die Bestimmung als sozialhilferechtliches Einkommen bzw. Vermögen nicht. Der Einsatz bzw. die Verwertung wird nur dadurch gehindert, dass die Freigaben keine bedarfsdeckenden Mittel darstellen und auch nicht "versilbert" werden können, und das ist in jedem nachrangigen Leistungssystem – wie vorstehend dargestellt – anders.
Rz. 225
Beispiel: Die Freigabe eines Kfz im Bedarfszeitraum ist im SGB XII immer Einkommen (§ 82 SGB XII), im SGB II immer Vermögen (§ 12 SGB II), im SGB IX von Anfang an Vermögen (§ 139 SGB IX). Das Nutzungsrecht an einem Kfz kann man im SGB XII als Einkommen nicht zur Bedarfsdeckung einsetzen. Maximal wird damit der Bedarf an Mobilität mit Regelsatz gedeckt. Geht man von einer Umwandlung des Zuflusses in Vermögen aus, so gibt es dafür evtl. Schutz im Rahmen des § 90 Abs. 3 SGB XII oder des Barbetrages nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Grundsätzlich sind Pkw im SGB XII aber nicht geschont (ihre Überlassung zur reinen Nutzung und nicht zu Eigentum ist aber eine Zuwendungsoption). Sie sind auch nicht im SGB IX ausdrücklich geschont, lassen sich aber unter den Schutz des Barvermögens i.V.m dem Härtefalltatbestand subsumieren. Im SGB II gibt es von Anfang an Schutz als Vermögen im Rahmen des § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II für ein "angemessenes" Kraftfahrzeug.
Es ist daher bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen unabdingbar, die Entwicklung des Leistungsbezuges nachrangiger Leistungen durch den Bedürftigen auf der Zeitschiene zu prognostizieren.
Rz. 226
Typischer Fall:
Der Bedürftige kommt – unterstützt durch seine Eltern – anfänglich mit Mühe und Not auf dem Arbeitsmarkt unter. Er wird in seinen 40 er/50 er Jahren zum Hartz-IV-Fall (SGB II) und bleibt dies über viele Jahre. Irgendwann wird klar, dass er Unterstützung zur Teilhabe am Leben – also Eingliederungshilfe (SGB IX) – zusätzlich benötigt, bis schließlich endlich feststeht, dass er dauerhaft voll erwerbsgemindert ist (§ 42 Abs. 2 SGB VI) oder Altersrente beziehen kann. Hier "durchwandert" der Bedürftige drei verschiedene Leistungssysteme mit jeweils anderen Einkommens- und Vermögensbegriffen und einer vorhandenen Erbenhaftungsregelung (§ 102 SGB XII), die es nicht angeraten sein lässt, dass der Bedürftige am Ende seines Lebens verbbares Vermögen übrigbehält. Kommt dann noch eine Betreuun...