Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 85
Die Literatur diskutiert im Zusammenhang mit der Vermächtnislösung die Gestaltung eines sog. Leibrentenvermächtnisses, das zwar wenig beachtet, in der Praxis aber durchaus gängig zu sein scheint. Unter einer Leibrente versteht man der Höhe nach gleichbleibende und in gleichmäßigen Zeitabständen wiederkehrende Zahlungen, die auf einem einheitlichen Rentenstammrecht beruhen und deren Laufzeit von der Lebenszeit des Berechtigten abhängig ist. Die echte Leibrente besteht auf Lebenszeit des Berechtigten.
Rz. 86
Zielsetzung dieser Lösung ist, dass die "Aufstockung der sozialstaatlich geleisteten Grundversorgung" erreicht wird, denn Gegenstand des Nachvermächtnisses ist nur das, was der Testamentsvollstrecker aus den bis zum Todestag geflossenen Rentenzahlungen noch nicht verbraucht hat. Es soll vermieden werden, dass sich in der Hand des Testamentsvollstreckers ein größeres Vermögen ansammelt, vielmehr soll es ihm erleichtert werden, die ihm zufließenden Beträge ausschließlich und zielgerichtet im Interesse des Bedürftigen zu verwenden.
Rz. 87
Ob ein Leibrentenvermächtnis unter dem Gesichtspunkt der sozialhilferechtlichen Strukturprinzipien Sinn macht, ist weder durch Rechtsprechung ausgetestet, noch scheint es m.E. geboten, einen solchen Test ohne einen sozialhilferechtlich erfahrenen Testamentsvollstrecker zu unternehmen, während Stimmen aus der Literatur das Leibrentenvermächtnis als eine besonders geeignete Gestaltung ansehen. M.E. weist Beckervordersandfort zurecht darauf hin, dass das Leibrentenvermächtnis eine alternative Gestaltungsform für Familien mit besonders hohem Vermögen, aber keine eigentliche Alternative zum Behindertentestament darstellt.
Rz. 88
Die Leibrentenregelung suggeriert den sozialrechtlich unerfahrenen Beteiligten, man könne dem Menschen mit Behinderung allmonatlich aufstockend einen gewissen Barbetrag sozialhilfeunschädlich zukommen lassen. Das kann man so ohne weiteres nicht. Regelmäßige Zuflüsse in Geld oder Geldeswert sind im SGB XII Einkommen nach §§ 82 ff. SGB XII und auf den Bedarf anzurechnen. Nur Einkünfte, die nicht "versilberbar" – also nicht bedarfsdeckungsgeeignet – sind, können zugewendet werden, ohne dass Leistungen gekürzt werden. Im SGB IX begründet ein Leibrentenvermächtnis keine einkommenssteuerpflichtigen Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 1 EstG, sondern unterfällt § 23 ErbStG. Im Eingliederungshilferecht ist das Rentenvermächtnis daher Vermögen und unterfällt § 139 SGB IX i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 1–8 SGB XII. Der "normative Schutzschirm" gegenüber der sozialrechtlichen Einsatzpflicht ergibt sich nicht aus dem Leibrentenstammrecht, sondern erst aus der Kombination mit Dauertestamentsvollstreckung und den Verwaltungsanordnungen nach § 2216 Abs. 2 BGB.