Rz. 33

Ob es deshalb in der "Sozialhilfesackgasse" endet, falls mit einem Behindertentestament offenkundig andere Ziele verfolgt werden als die Verbesserung der Lebenssituation des Menschen mit Behinderung, ist bis heute nicht abschließend geklärt.[66] Die Rechtsprechung "fasst" dieses Thema nicht an, dabei lässt sich gar nicht verheimlichen, dass als Behindertentestamente ausgestaltete Testamente z.T. ganz unverblümt darauf abzielen, den Menschen mit Behinderung schlichtweg von Nachlassmitteln fernzuhalten. Andererseits ist fraglich, ob die Motivation des Erblassers wirklich rechtserheblich ist. Es ist unbestrittene Rechtsprechung zur Nichtigkeit letztwilliger Verfügungen, dass es grundsätzlich ohne Bedeutung ist, welche Beweggründe den Erblasser veranlasst haben, bei der Verteilung seines Nachlasses von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. Der letzte Wille des Erblassers ist grundsätzlich auch dort zu respektieren, wo seine Motive keine besondere Achtung verdienen.[67] Und letztlich schuldet der Erblasser – anders als der Sozialhilfebezieher – der Solidargemeinschaft nichts (vgl. z.B. § 2338 BGB) "Dass Eltern bei der Erbfolge das gesunde Kind und seinen Stamm bevorzugen, …, reicht für sich genommen angesichts der lebzeitigen Versorgung des behinderten Kindes (durch Verfasserin angepasst) und des Grundsatzes der Testierfreiheit nicht aus, das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu rechtfertigen."[68]

 

Rz. 34

Die Leitsätze der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit basieren nicht auf der Gesinnung des Erblassers, sondern darauf, dass die Testierfreiheit ihre Grenze im Pflichtteilsrecht des Abkömmlings findet, welches der Erblasser im Regelfall weder entziehen noch beschränken kann.[69] Erst wenn auch diese Mindestteilhabe "geknebelt" wird, wird es problematisch. Und hier schließt sich der Kreis.

Das Pflichtteilsrecht als grundlegendes Fundament der Sittenwidrigkeitsprüfung muss dann allerdings auch die Frage danach auslösen, ob Behindertentestamente zugunsten von Nichtpflichtteilsberechtigten nicht in der einen oder anderen Richtung vollkommen anders zu beurteilen sind. Darauf gibt es bisher keine Antwort.

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