Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 80
Zweites Gestaltungsmodell neben der Erbschaftslösung ist die Vermächtnislösung mit folgender Struktur:
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Ausschluss des Bedürftigen von der Erbfolge |
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Aussetzung eines (Quoten-)Vermächtnisses, das die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigt |
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Anordnung von Vor- und Nachvermächtnis |
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Anordnung einer lebenslangen Vermächtnistestamentsvollstreckung |
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Verwaltungsanordnungen des Erblassers. |
Diese Lösung entwickelt sich ebenfalls organisch aus der Zielsetzung,
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verwertbares (sozialrechtlich definiertes) Einkommen bzw. Vermögen in der Hand des Begünstigten zu verhindern |
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zusätzliche Vorteile für den Begünstigten neben einer staatlichen Grundversorgung zu schaffen |
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das Nachlassvermögen für die Zeit nach dem Tod des lebzeitig Begünstigten zu steuern und einem Dritten, der nicht Sozialleistungsträger ist, zukommen zu lassen. |
(1) Vorvermächtnis/Nachvermächtnis oberhalb des Pflichtteilsanspruches
Rz. 81
Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis (§ 2307 BGB) bedacht, so kann er den Pflichtteil nur verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. (§§ 2180 Abs. 3, 1953 Abs. 1 BGB). Folglich muss das Vermächtnis – wie bei der Erbschaftslösung das Erbe – größer sein als der Pflichtteil, um das Vermächtnis attraktiv zu machen. Würde der Pflichtteilsberechtigte stattdessen von seinem Ausschlagungsrecht Gebrauch machen, so führte dies dazu, dass der Anfall des Vermächtnisses an den Pflichtteilsberechtigten als nicht erfolgt gälte, während die Annahme – ausdrücklich oder konkludent – bewirkt, dass der Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis endgültig erwirbt und gleichzeitig seinen Pflichtteilsanspruch – soweit er durch das Vermächtnis gedeckt ist – verliert.
Rz. 82
Die Anordnung von Vor- und Nachvermächtnis nach § 2191 BGB sorgt für den Übergang des Vermächtnisses nach dem Eintritt des Nachvermächtnisanfalls. Die zulässige Anordnung eines Nachvermächtnisses (§ 2191 BGB), mit dem der Vorvermächtnisnehmer und nicht der Erbe belastet ist, führt aber noch nicht zu einem effektiven Schutzschirm gegenüber dem Sozialhilfeträger. Der Zugriff des Sozialhilfeträgers – wie in der Erbschaftslösung – ist nicht ausgeschlossen, da die "Früchte" des Vermächtnisses ohne weitere "Schutzringe" dem Zugriff der Gläubiger offenliegen.
(2) Dauertestamentsvollstreckung
Rz. 83
Nur durch Maßnahmen, die mit dem klassischen Behindertentestament vergleichbar sind, kann der Zugriff von Gläubigern ausgeschlossen werden. Eine allgemeine Vermächtnistestamentsvollstreckung ist, auch wenn sie im Gesetz nicht geregelt ist, zulässig. Das gilt auch für die Form der Verwaltungsvollstreckung. Sie muss wiederum eine Dauertestamentsvollstreckung sein. Für den Vermächtnisnehmer gelten dann dieselben Vorschriften, die bei der eigentlichen Testamentsvollstreckung den Erben beschränken. § 2223 BGB ist insoweit nicht abschließend.
(3) Individuelle Verwaltungsanordnungen
Rz. 84
Komplett wird die Lösung erst – ebenfalls wie bei der Erbschaftslösung – durch individuelle Verwaltungsanordnungen des Erblassers, die sich möglichst nicht darauf beschränken sollten anzuordnen, dass der Testamentsvollstrecker dem Bedürftigen zum Geburtstag und zu Festtagen Geschenke machen solle. Das ist eine Verwaltungsanordnung, die nahezu in jedem Mustertext auftaucht, aber verkennt, dass sich der Begünstigte damit aus den zur Verfügung stehenden "Früchten" zum Geburtstag und zu Weihnachten selbst beschenkt. Der zusätzliche Nutzen ist nicht erkennbar.
(4) Beispiel: Leibrentenvermächtnis (§§ 2147 ff. BGB)
Rz. 85
Die Literatur diskutiert im Zusammenhang mit der Vermächtnislösung die Gestaltung eines sog. Leibrentenvermächtnisses, das zwar wenig beachtet, in der Praxis aber durchaus gängig zu sein scheint. Unter einer Leibrente versteht man der Höhe nach gleichbleibende und in gleichmäßigen Zeitabständen wiederkehrende Zahlungen, die auf einem einheitlichen Rentenstammrecht beruhen und deren Laufzeit von der Lebenszeit des Berechtigten abhängig ist. Die echte Leibrente besteht auf Lebenszeit des Berechtigten.
Rz. 86
Zielsetzung dieser Lösung ist, dass die "Aufstockung der sozialstaatlich geleisteten Grundversorgung" erreicht wird, denn Gegenstand des Nachvermächtnisses ist nur das, was der Testamentsvollstrecker aus den bis zum Todestag geflossenen Rentenzahlungen noch nicht verbraucht hat. Es soll vermieden werden, dass sich in der Hand des Testamentsvollstreckers ein größeres Vermögen ansammelt, vielmehr soll es ihm erleichtert werden, die ihm zufließenden Beträge ausschließlich und zielgerichtet im Interesse des Bedürftigen zu verwenden.
Rz. 87
Ob ein Leibrentenvermächtnis unter dem Gesichtspunkt der sozialhilferechtlichen Strukturprinzipien Sinn macht, ist weder durch Rechtsprechung ausgetestet, noch scheint es m.E. geboten, einen solchen Test...