Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 187
In der Folge der Entwicklung des Testamentes für bedürftige Menschen mit Behinderung haben sich auch Testamente zugunsten von Menschen entwickelt, die aus anderen Gründen bedürftig sind und nachrangige Sozialleistungen beziehen.
In der Literatur werden solche Testamente häufig zusammen mit Testamenten zugunsten Überschuldeter und dem Insolvenzrecht abgehandelt. Es sind aber zwei selbstständige Fallgruppen. Die Fallgruppe Überschuldeter bleibt nachfolgend ausdrücklich unberücksichtigt, denn sie bedingt eine Vielzahl rechtlicher Besonderheiten, die keine unmittelbaren Parallele im nachrangigen Sozialleistungsrecht haben und hier nicht Thema sind.
Ob solchen Testamenten auch das Etikett "nicht sittenwidrig" anhaftet, kann angesichts der Prämissen des BGH zum Behindertentestament nicht vorbehaltlos bejaht werden. Menschen, die nachrangige Leistungen beziehen, wie z.B. "Hartz-IV" (Grundsicherung nach SGB II), sind auch in keiner Weise als Menschen mit einer besonderen Behinderung (= keine Arbeit) zu sehen, so wie in der Vergangenheit gelegentlich argumentiert wurde. Mittlerweile ist auch klar, dass es nicht nur um SGB II-Leistungsbezieher geht. Und deshalb kann keine vorbehaltlose "Entwarnung" gegeben werden, auch wenn die Tendenz stark dahin geht, die Sittenwidrigkeit generell auszublenden mit dem Argument der negativen Erbfreiheit. Wer nicht darauf Rücksicht nehmen müsse, ob er selbst einmal in der Zukunft bedürftig werde, müsse als Erblasser auch die Interessen der Solidargemeinschaft nicht in den Blick nehmen.
I. Beispiel: "Hartz-IV"-Bezieher (Grundsicherung/Sozialgeld SGB II)
Rz. 188
Wäre der tragende Punkt für ein Behindertentestament wirklich die bisher erbrachte Lebensarbeitsleistung der Eltern von Menschen mit Behinderung und die Vorsorge dieser Eltern für den Fall einer Reduzierung der staatlichen Leistungen, so müsste man eine Vergleichbarkeit der Fälle ohne jedes "Wenn und Aber" ablehnen. Letztlich geht es beim sog. Bedürftigentestament einfach nur darum, die Mittel aus Erbfall und Schenkung nicht vorrangig vor SGB II-Leistungen oder anderen nachrangigen Leistungen einsetzen zu müssen, sondern einen besseren Lebensstandard zu schaffen. Sozial- und Erbrechtler sind deshalb in ihrer Rechtsauffassung zur Sittenwidrigkeit anderer als Behindertentestamente naturgemäß gespalten.
Die sozialrechtliche Literatur hält es "vom Grundsatz her schon für sehr bedenklich solche Testamente mit einem derartigen Inhalt für das SGB II zuzulassen, da diese Personengruppe auf keinen Fall den Schutz benötigt, der beabsichtigt ist. Diese Testamente werden regemäßig nur dann aufgesetzt, um das Vermögen vor dem jeweiligen Träger in Sicherheit zu bringen."
Dass die Kritiker damit nicht so ganz falsch liegen, zeigt sich an den gescheiterten Gestaltungen, die immer wieder vorkommen.
Rz. 189
Fallbeispiel 90: Der vollversorgte Hartz-IV- Empfänger
A, langjährig alkoholabhängig, stand beim Jobcenter im Leistungsbezug nach dem SGB II ("Hartz-IV" = § 19 SGB II). Er bewohnte mit seiner Mutter ein Einfamilienhaus und bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Hilfe zur Unterkunft machte er nicht geltend.
Als die Mutter, die ein notarielles Testament errichtet hatte, starb, hinterließ sie zu dem Einfamilienhaus eine weitere Immobilie. Nach dem Testament sollten A und ein Cousin zu je ½ Anteil erben. A wurde als Vorerbe, der Cousin als Nacherbe und Testamentsvollstrecker im Sinne einer Dauertestamentsverwaltungsvollstreckung eingesetzt. Es gab umfangreiche Verwaltungsanordnungen, wonach der Testamentsvollstrecker dem Miterben nach seinem freien Ermessen aus den Erträgnissen des Vermächtnisses zur Verfügung stellen sollte: "Taschengeld in angemessener Höhe, Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffungen, die Einrichtung und Gewährung einer Wohnung im bisherigen Umfang einschließlich der Anschaffung der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, ärztliche Behandlung, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht oder nicht vollständig bezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz, Kuraufenthalte, Besuche bei Verwandten und Freunden." Auf die Substanz des Vermögens sollte der Testamentsvollstrecker zurückgreifen dürfen, sofern dies notwendig sei.
Der Testamentsvol...