Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 205
Die Abweichung vom Grundschema eines Bedürftigentestaments, so wie es für Menschen mit Behinderung Anwendung findet, fordert m.E. besondere Sachverhaltsaufklärung und ausreichende Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung. Hier besteht das Problem darin, alle denkbaren Fallkonstellationen vorherzusehen und die unterschiedlichen Leistungsnormen auf "Fallgruben" zu prüfen. Das ähnelt einer Quadratur des Kreises, zumal keine sozialrechtliche Gesetzeslage über eine absehbare Dauer von Jahren hält. Was heute klug austariert zu sein scheint, kann morgen sozialrechtlich bereits Altpapier sein.
Rz. 206
Zum Teil wird in der Literatur der Renteneintritt des Leistungsbeziehers als das "rettende Ufer" betrachtet, von dem aus alles anders und die Beschränkungen eines Bedürftigentestaments entbehrlich werden. Das stimmt aber nur dann, wenn es bei Erreichen des "rettenden Ufers" auch tatsächlich genügend Rente gibt, um unabhängig von nachrangigen Sozialleistungen leben zu können. Wer nicht genügend Rente hat, aber 33 Jahre Grundrentenzeiten aufweist, kann zwar neuerdings eine Aufstockung durch einen Zuschlag von Entgeltpunkten nach § 76 g SGB VI erhalten und damit eine Mindestversorgung erreichen. Aber nach § 97 a SGB VI wird Einkommen auf die Rente aus diesem Zuschlag angerechnet. Der Renteneintritt als das "rettende Ufer" dürfte also eher die Ausnahme sein und gestalterisch in den Griff zu bekommen.
Rz. 207
Wenn der bedürftige Mensch prognostisch in der Zukunft mehr oder minder durchgehend nachrangige Leistungen beziehen wird oder mehr oder minder nahtlos vom SGB II in die Sozialhilfe des SGB XII bzw. in der Eingliederungshilfe des SGB IX "rutschen" wird, dann machen Ausnahmen und Freistellungen von den Beschränkungen eines Bedürftigentestaments wenig Sinn.
Rz. 208
Falllösung Fallbeispiel 92:
Der Sohn in Fallbeispiel 92 befindet sich in permanenter Gefahr arbeitslos zu werden und nur für eine begrenzte Zeit Anspruch auf das nicht nachrangig ausgestaltete Arbeitslosengeld nach SGB III zu haben. Direkt danach droht bei Dauerarbeitslosigkeit das SGB II oder bei voller Erwerbsminderung ohne bedarfsdeckende Erwerbsminderungsrente das SGB XII mit seinen nachrangigen Leistungen. Eigenes Einkommen und/oder Vermögen sind dann einsatzpflichtig. In diesem Fall ist es notwendig ganz genau hinzuschauen, ob man es dann nicht auf Dauer ohnehin mit einem SGB XII-Bezieher zu tun hat, etwa weil er nie genügend für eine ausreichende Altersversorgung erwirtschaftet hat oder erwirtschaften wird. Dann muss man mit der "Brille des SGB XII" schauen und gestalten. Dann ist vielleicht die Beibehaltung der Dauertestamentsvollstreckung und die Schaffung "eines Daches über dem Kopf" in der Form geschonten Vermögens die sinnvollere Gestaltung. Und da man lebzeitig in Zeiten ohne nachrangigen Leistungsbezug durch lebzeitige Zuwendungen noch besser und rechtssicherer steuern kann, ist lebzeitigen Gestaltungen ggf. der Vorzug zu geben.
Rz. 209
Sinnvoll kann auch die Überlassung von "Nutzungen" sein, wie z.B. die Nutzung eines Pkw inkl. Steuern/Versicherung und Unterhaltung. Die Nutzung deckt den Regelbedarf nicht ab. Allenfalls mag man über den Mobilitätsanteil im Regelbedarf nachdenken, was der Gesetzgeber des SGB II anlässlich der Änderung des § 11 2016 ausdrücklich für unzulässig gehalten hat Man kann den Erben mit einem entsprechenden Vermächtnis belasten, das durch Testamentsvollstreckung gesichert wird.