Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 90
Als "Königsweg" zur Verminderung der Nachteile des klassischen Behindertentestaments und der Vor- und Nachvermächtnisvariante wird in der Literatur eine sog. umgekehrte Vermächtnislösung vorgeschlagen, die folgende Elemente hat:
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Einsetzung des Behinderten zum alleinigen, nicht befreiten Vorerben |
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gegenständlich beschränkte Nacherbeneinsetzung und Vermächtnisse für die nicht bedürftigen Erben für den Nachlass, der nicht von der Nacherbeneinsetzung betroffen ist |
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Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung für den Bedürftigen und die Erfüllung der Vermächtnisse. |
Einzelne Autoren erörtern diese Lösung auch offen als Universalvermächtnislösung, bei der z.B. der behinderte Abkömmling als mit einer Nacherbschaft belasteter und befreiter Vorerbe eingesetzt wird und der Ehegatte als Universalvermächtnisnehmer.
Rz. 91
Das Gesetz sieht eine Begrenzung des Vermächtnisses auf einen Vermächtnisgegenstand oder auf eine Quote nicht vor, so dass theoretisch auch der Gesamtnachlass Vermächtnisgegenstand sein kann. Die h.M. geht deshalb davon aus, dass ein Universalvermächtnis zulässig ist. Für die wirksame Anordnung eines Universalvermächtnisses ist nur von grundlegender Bedeutung, dass der Erblasser die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB entkräftet, Auslegungszweifel vermeidet und die Zuwendung ausdrücklich als Universalvermächtnis bezeichnet.
Rz. 92
Durch die Anordnung von Vor- und Nacherbschaft wird wiederum das erforderliche Sondervermögen geschaffen, das den Sozialhilfeträger vom Zugriff ausschließt. Das Vermächtnis verhindert eine fremdbestimmte Erbengemeinschaft und die Gestaltungsfreiheit wird größer.
Rz. 93
Gleichwohl ist die juristische Praxis zurückhaltend. So wird eingewendet:
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Der Anfall des Gesamtvermögens beim behinderten Kind sei ein Nachteil, weil es von dort unter Anfall erheblicher Erfüllungskosten erst wieder an die Vermächtnisnehmer weiter übertragen werden muss. |
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Wegen der fixen Bemessung der dem Behinderten letztlich zugedachten Vermögenswerte bestehe die Gefahr, dass Bestandsveränderungen im Nachlass bis zum Eintritt des Erbfalls die Erbenposition so stark entwerten, dass die Gefahr einer Ausschlagungsnotwendigkeit entsteht. |
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Die Lösung versage, wenn es nur einen unteilbaren Vermögensgegenstand gibt, der wirtschaftlich praktisch den gesamten Nachlass ausmacht. Werde dieser vom Vermächtnis erfasst, drohe die Ausschlagung im wohlverstandenen Interesse gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB. |
Der Erbrechtler erkennt die Richtigkeit dieser Einwendungen gerade beim Universalvermächtnis sofort; der Erbe ohne Handicap außerhalb eines nachrangigen Leistungsbezuges wird in der Regel trotz der Annahme einer mit einem Vermächtnis belasteten Erbenstellung in der Regel davon ausgehen, dass er ohnehin immer mindestens den Pflichtteil verlangen kann. Tatsächlich muss dafür fristgerecht ausgeschlagen werden. Ansonsten droht im Extremfall, dass der Erbe wirtschaftlich völlig leer ausgeht.
Rz. 94
Daneben steht allerdings auch sehr in Frage, ob die Anordnung eines solchen (Universal-)Vermächtnisses im Kontext mit einem Menschen mit Behinderung nicht doch ausnahmsweise sittenwidrig ist, weil es anders als das Behindertentestament primär auf Begünstigung eines Dritten und Ausschluss des behinderten Kindes zielt und nicht – wie vom BGH unter Berufung auf Art. 6 GG für zulässig gehalten – darauf, etwas über das Existenzminimum hinaus für ein "Kind" mit Behinderung zu tun.
Rz. 95
Häufig wird gerade eine Universalvermächtnisfallkonstellation zugunsten eines Dritten aber bereits an einer anderen Stelle sehr früh zu Problemen führen. Zumeist führt der Irrtum des Erben, er habe auf jeden Fall einen Pflichtteilsanspruch, zum Versäumen der Ausschlagungsfrist von in der Regel sechs Wochen. Ob ein solcher Irrtum einen die Anfechtung der Erbschaftsannahme oder die Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB) begründenden Irrtum darstellt, war heftig umstritten. Der BGH hat aber entschieden, dass ein beachtlicher Inhaltsirrtum zu bejahen sei. Der Sozialleistungsträger würde also folgende Situation vorfinden:
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wertlose Erbschaft |
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versäumte Ausschlagungsfrist |
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Aus der übergeleiteten/übergegangenen Erbenstellung müsste nunmehr das Anfechtungsrecht wegen Irrtums geltend gemacht werden. Nach erfolgreicher Anfechtung müsste ausgeschlagen und der Pflichtteil geltend gemacht werden. |
Dieser Weg ist steinig und es ist fraglich, ob er juristisch überhaupt gangbar ist. M.E. droht daher bei einer Benachteiligung des Kindes mit Behinderung durch Universalvermächtnis, dass die Judikative auf die "schwächste" Stelle der Konstruktion ausweichen und § 138 BGB bejahen wird.
Rz. 96
Wertet man die Literatur allgemein zur umgekehrten Vermächtnislösung aus, so scheint die Praxis die Lösung eher als unpraktikabel abzulehnen, während andere in der Vergangenheit davon berichtet haben, in größerem Umfang von der umgekehrten Vermächtnisvariante wegen ihrer größtmöglichen Flexibilität Gebrauch gemacht zu haben.