Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 214
Die größten Probleme von Behinderten-/Bedürftigentestamenten ergeben sich heute nicht mehr aus Rechtsprechung, die die Sittenwidrigkeit von bedürftigen Menschen mit und ohne Behinderung diskutiert. Vielmehr sind es
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Auseinandersetzungsproblemen bei der Erbengemeinschaft |
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sozialhilfeunschädliche Umsetzung von Testamentsvollstreckung bzw. Verwaltungsanordnungen in die Praxis, |
die die Praxis beschäftigen.
Hinweis
Interessant ist ein Gedanke, den Krauß einbringt für den Fall, dass ein Testament nicht zur Wirkung kommt (im konkreten Fall handelte es sich um einen Rücktritt/Widerruf). Diesen Gedanken für den Fall der Sittenwidrigkeit eines Behinderten-/Bedürftigentestaments weitergedacht, könnte man unmittelbar vor dem eigentlich beabsichtigten Testament ein Testament errichten, das mit dem nachfolgenden Testament widerrufen wird, aber wieder Platz greift, wenn dieses Testament z.B. wegen Sittenwidrigkeit keinen Bestand hat. Das vorhergehende Testament muss dann sozusagen den Störfall antizipieren und regeln, was der Erblasser für den Fall des Scheiterns des nachfolgenden Testaments will. Ob diese Lösung hinsichtlich seiner Wirkungen zu Ende gedacht ist, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Eine Diskussion scheint lohnenswert.
I. Wenn die Wirkung der Dauertestamentsvollstreckung entfällt
Rz. 215
Das Behinderten/Bedürftigentestament funktioniert nur, wenn die Dauertestamentsvollstreckung während des Leistungsbezuges uneingeschränkt besteht. Wenn nachfolgend vom Behindertentestament die Rede ist, gilt das auch für das Bedürftigentestament während des Sozialleistungsbezuges, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt ist (vgl. dazu ausführlich § 3 Rdn 279 ff.).
Verfügungsbeschränkungen des Erben unterliegen immer nur die Nachlassgegenstände (§ 2211 BGB), auf die sich die Testamentsvollstreckung bezieht. Die Anordnung der Testamentsvollstreckung schließt deshalb die Verfügungsbefugnis nicht für alle denkbaren Fälle aus.
Rz. 216
Ob die Verfügungsbefugnis dem Erben allein – und damit sozialhilfeschädlich – zustehen kann, ist im Einzelfall zu prüfen. Die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers besteht u.a. nicht (mehr):
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bei Erblasseranordnungen, die aufgrund Gesetzes unwirksam sind |
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bei Erblasseranordnungen, die durch nachträgliche Entwicklungen im Wege der ergänzenden Auslegung gegenstandslos werden |
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bei Gegenständen, die vom Erblasser der Verwaltung des Testamentsvollstreckers mit dinglicher Wirkung entzogen wurden – § 2208 BGB |
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wenn sich Erbe und Testamentsvollstrecker einverständlich über ein Verfügungsverbot hinwegsetzen, weil die Einigung zwischen Testamentsvollstrecker und Erben als denjenigen Personen, die allein von der Verfügung unmittelbar berührt sind, stärker ist als eine entgegenstehende Erblasseranordnung |
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bei Gegenständen, die der Testamentsvollstrecker an den Erben herausgegeben hat (sowohl nach § 2217 BGB als auch nach § 2216 BGB möglich) |
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wenn das Amtsgericht die Ernennung eines neuen Testamentsvollstreckers rechtskräftig abgelehnt hat. |
Rz. 217
Eine besondere Gefahr geht von der Erbauseinandersetzung aus: "Die (Teil-)Erbauseinandersetzung beim Behindertentestament ist ein Geschäft mit Risiken und Tücken." Die Literatur mahnt deshalb besondere Vorsicht bei der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften und der Fortsetzung der Dauertestamentsvollstreckung an den anlässlich der Auseinandersetzung erlangten Mitteln an.
Der besondere Fokus liegt auf der Erbauseinandersetzung durch Erbteilsübertragung, wenn der Vorerbe für eine Erbteilsübertragung eine Gegenleistung mit Mitteln außerhalb des Nachlasses erhält, weil § 2011 BGB nur für den Erwerb mit Mitteln des Nachlasses gilt.
Rz. 218
Fallbeispiel 93: Die Erbteilsübertragung
Vater V verstirbt und wird zu 72 % von seiner Ehefrau sowie zu 28 % von der gemeinsamen Tochter beerbt, wobei die Betroffene im Wege eines sog. klassischen Behindertentestaments als nicht befreite Vorerbin eingesetzt wurde.
Zum Nacherben wurde die Mutter der Betroffenen, ersatzweise die "…" bestimmt. Der Nacherbfall sollte mit dem Tode der Betroffenen eintreten.
Zudem wurde die Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des Erbteils der Tochter angeordnet und ihre Mutter zur Testamentsvollstreckerin bestellt.
Die Testamentsvollstreckerin erhielt sodann die Anordnung i.S.v. § 2216 Abs. 2 BGB, dass der Tochter aus den jeweils ihr gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgen (Nutzungen) des Nachlasses nach billigem Ermessen Geld- oder Sachleistungen erhalten solle, die zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen und auf die die Sozialhilfeträger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften keinen Zugriff haben sollten. Hierzu wurde eine Reihe von Beispielen aufgeführt.
Mit notariellem Vertrag übertrug die Tochter, vertreten durch ihren Betreuer, ihren Anteil an der ungeteilten Erbengemeinschaft mit dinglicher Wirkung an ihre Mutter, die Mi...