I. Der Antrag nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB – Das Außerkraftsetzen/Ändern von Verwaltungsanordnungen?

 

Rz. 243

 

Fallbeispiel 96: Jeden Monat 2.000 DM

Die rechtlich unberatene Erblasserin verfügte in einem Behindertentestament zugunsten einer Verwandten, dass der Testamentsvollstrecker ihr monatlich 2.000 DM zuwenden solle, "damit es ihr weiterhin so gut gehe, wie bisher." Als das Sozialamt den Testamentsvollstrecker auf Herausgabe des Betrages in Anspruch nehmen wollte, beantragte der Testamentsvollstrecker nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB das Testament bezüglich dieser Verfügung außer Kraft zu setzen und im Sinne eines echten Behindertentestaments zu korrigieren. Der Sozialhilfeträger hält das für unzulässig, weil damit ein Schutz geschaffen werde, den die Erblasserin keinesfalls gewollt habe.[299]

 

Rz. 244

Allgemein gilt, dass Verwaltungsanordnung des Erblassers nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB außer Kraft gesetzt werden können, wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde.[300] Für eine Nachlassgefährdung reicht es aus, wenn diejenigen Interessen am Nachlass beteiligter Personen erheblich gefährdet werden, die der Erblasser durch seine Verwaltungsanordnungen hat fördern wollen.[301]

Den Antrag auf Beseitigung der Verwaltungsanordnung können alle Personen stellen, die an der Aufhebung ein rechtliches Interesse haben.[302] Neben dem Testamentsvollstrecker können deshalb auch alle Personen, die an der Aufhebung von Anordnungen des Erblassers ein rechtliches Interesse haben, also z.B. Erben, Vermächtnisnehmer und Auflagenberechtigte, einen entsprechenden Antrag stellen.[303]

Nicht berechtigt sind allerdings die Privatgläubiger des Erben.[304] Damit wird von der h.M. die Antragsberechtigung eines Sozialleistungsträgers grundsätzlich abgelehnt. Das gilt auch für die Beschwerdeberechtigung nach § 59 FamFG.

 

Rz. 245

Falllösung Fallbeispiel 96:

Rechtsprechung und Literatur gehen über das Recht zu Außerkraftsetzung sogar hinaus und halten es für zulässig, dass das Nachlassgericht die Verwaltungsanordnungen des Erblassers dadurch verändert, dass es ursprüngliche Anordnungen des Erblassers wiederherstellt[305] bzw. korrigiert,[306] was im Ergebnis bedeutet, aus einem fehlerhaften Testament ein "passendes" Behindertentestament zu machen.

Es bleibt dem Sozialhilfeträger in diesem Fall nur, mit seinen Mitteln zu reagieren. Möglich ist, dass der Sozialleistungsträger den Bedürftigen darauf verweist, dass er sich selbst helfen könne, indem er die Verwaltungsanordnungen angreift. In der Literatur wird dem Sozialleistungsträger z.T. empfohlen, die Leistungen darlehensweise zu erbringen und die Gewährung von einer dinglichen Sicherung durch Verpfändung oder Sicherungsübereignung der Nachlassgegenstände abhängig zu machen. Dann könne der Vorerbe vom Testamentsvollstrecker den Einsatz der Substanz verlangen. Dieser Anspruch sei vom Sozialleistungsträger dann überleitbar.[307] Dagegen wendet sich die wohl h.M. mit dem aus dem Grundrecht der Testierfreiheit abgeleiteten Argument, dass der Erblasserwille, solange er nicht die Grenzen des Sittenwidrigen überschreite, gegenüber den Interessen und dem Gerechtigkeitsinteresse Dritter absoluten Vorrang genieße.[308] Das Primärziel der Gestaltung eines solchen Testaments könne nach § 2116 Abs. 2 S. 2 BGB nicht ausgehebelt werden.

[299] Vgl. hierzu Schmidl, ZErb 2017, 276, 303 ff., 339 ff.
[300] Damrau/Tanck/Bonefeld, Praxiskommentar Erbrecht, § 2216 Rn 18.
[301] Krauß, Vermögensnachfolge in der Praxis, Rn 6564 m.w.N.
[302] BGH v. 13.7.1961 – Az.: V ZB 9/61, BGHZ 35, 296.
[303] OLG München v. 28.6.2017 – Az.: 31 EX 7/17, NJW-RR 2017, 1289 m.w.N.
[304] BayObLG v. 27.12.1982 – Az.: B Reg. 1 Z 112/82, BayObLGZ 1982, 459.
[305] OLG München v. 28.6.2017 – Az.: 31 EX 7/17, NJW-RR 2017, 1289 m.w.N.
[306] Schmidl, ZErb 2017, 276, 303 ff., 339 ff.
[308] Juchem, Vermögensübertragung zugunsten behinderter Menschen durch vorweggenommene Erbfolge und Verfügungen von Todes wegen, 2002, 107 f.

II. Die nachträgliche Anordnung von "Schutzringen" durch den überlebenden Ehegatten?

 

Rz. 246

In einem gemeinschaftlichen Testament sind nur wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tod des Erstversterbenden bindend. Dasselbe gilt für vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag. Wechselbezügliche bzw. vertragsmäßige Verfügungen sind Erbeinsetzung, Vermächtnis und Auflage.

1. Änderungsvorbehalte bei wechselbezüglichen/vertragsmäßigen Verfügungen

 

Rz. 247

Wechselbezügliche Verfügungen können nach dem Tod des Erstversterbenden geändert werden, wenn dem überlebenden Ehegatten hinreichend klare Abänderungskompetenzen eingeräumt worden sind.[309] Beim Erbvertrag kann durch ein einseitiges, vertragliches Rücktrittsrecht (§ 2293 BGB) der Rücktritt durch Testament nach § 2297 BGB den Weg zur Abänderung vertragsmäßiger Verfügungen öffnen.

Bei der Gestaltung einer Abänderungsklausel sind die Ehegatten frei in ihrer Gestaltung. Haben die Ehepartner verfügt, dass der Überlebende über den Nachlass "frei verfügen" könne, kann dies in mehrfacher Hinsicht verstanden werden und muss ggf. ausgelegt werden.[310]

 

Rz. 248

Eine Abänderungsbefugnis muss nicht ausdrücklich im gemeinschaftlichen Testament geregelt sein, sie kann...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge