I. Vorbemerkung

 

Rz. 74

Obliegenheiten sind Verhaltensnormen, aus denen sich ergibt, was der Versicherungsnehmer zu tun oder zu unterlassen hat. Der Versicherungsnehmer muss diese Obliegenheiten beachten, um den Versicherungsschutz zu erhalten. Der Versicherer kann nicht auf Erfüllung von Obliegenheiten klagen, es besteht nur die Sanktion der Leistungsfreiheit.[33]

[33] Prölss/Martin/Armbrüster, § 28 VVG Rn 178 ff.

II. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles

 

Rz. 75

Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles haben in der Rechtsschutzversicherung keine große Bedeutung. Sie kommen vor allem im Verkehrsrechtsschutz in Betracht (§ 21 Abs. 8 ARB 2008/2010):

Führerscheinklausel,
Schwarzfahrtklausel,
fehlende Zulassung des Kraftfahrzeuges.

Die Leistungsfreiheit besteht immer nur gegenüber demjenigen, der die Obliegenheitsverletzung begeht.

 

Beispiel

Der führerscheinlose Fahrer hat keinen Versicherungsschutz, wohl aber der Versicherungsnehmer, der schuldlos vom Bestehen einer Fahrerlaubnis ausging.

Behauptet der Versicherungsnehmer, dass seine Obliegenheitsverletzung nicht kausal für den Versicherungsfall gewesen sei, ist er beweispflichtig. Er muss den Kausalitätsgegenbeweis führen.[34] Dieser Kausalitätsgegenbeweis kommt im Verkehrsrecht in erster Linie dann in Betracht, wenn ein Verkehrsunfall durch einen unberechtigten oder führerscheinlosen Fahrer verursacht worden ist. Hier werden strenge Anforderungen gestellt, in der Regel muss der Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses geführt werden.

[34] Römer/Langheid/Rixecker, § 28 VVG Rn 90 ff. m.w.N.

III. Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalles

 

Rz. 76

Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalles sind in § 17 Abs. 3 bis 6 ARB 2008/2010 geregelt.

1. Informationspflicht (§ 17 Abs. 3 ARB 2008/2010)

 

Rz. 77

§ 33 Abs. 1 VVG verlangt zwar von dem Versicherungsnehmer, dass er den Versicherer unverzüglich vom Eintritt eines Schadenfalles informiert. Eine Verletzung dieser gesetzlichen Obliegenheit ist jedoch weder im VVG noch in den ARB mit Rechtsfolgen sanktioniert.

 

Rz. 78

Es genügt daher in der Regel, den Rechtsschutzversicherer erst zu informieren, wenn abzusehen ist, dass Rechtsverfolgungskosten entstehen, die nicht von der Gegenseite zu erstatten sind.

 

Rz. 79

Auf der anderen Seite ist der Versicherungsnehmer nach § 17 Abs. 3 ARB 2008/2010 verpflichtet, "den Versicherer vollständig und wahrheitsgemäß über sämtliche Umstände des Rechtsschutzes zu unterrichten sowie Beweismittel anzugeben und Unterlagen auf Verlangen zur Verfügung zu stellen". Diese Informationspflicht besteht jedoch erst dann, wenn der Versicherungsnehmer den Rechtsschutzanspruch geltend macht.

 

Rz. 80

Die bloße Übersendung der Klageschrift ohne weitere Informationen oder Unterlagen reicht nicht aus.[35]

[35] AG Coburg, VersR 2003, 321 m.w.N.

2. Abstimmungsobliegenheit (§ 17 Abs. 5 lit. c ARB 2008/2010)

 

Rz. 81

Der Versicherungsnehmer muss vor Erhebung von Klagen und Einlegung von Rechtsmitteln die Zustimmung des Rechtsschutzversicherers einholen.

3. Warteobliegenheit (§ 17 Abs. 5 lit. c bb ARB 2008/2010)

 

Rz. 82

Nach § 17 Abs. 5 lit. c bb ARB 2008/2010 muss der Versicherungsnehmer "vor Klageerhebung die Rechtskraft eines anderen gerichtlichen Verfahrens abwarten, das tatsächliche oder rechtliche Bedeutung für den beabsichtigten Rechtsstreit haben kann".

 

Rz. 83

Der Anwendungsbereich dieser Obliegenheit ist denkbar gering, da "Musterprozesse", deren Ergebnis abzuwarten ist, selten sind. "Derselbe Versicherungsfall" setzt voraus, dass auch "derselbe Lebenssachverhalt" zu beurteilen ist.[36] Diese Tatsachenidentität liegt nur ganz selten vor.

 

Rz. 84

Es besteht keine Obliegenheit, nur eine Teilklage zu erheben[37] oder für ein "Musterverfahren", wenn drei Prozesse gegen drei Versicherer anstehen.[38]

[36] OLG Köln, r+s 2000, 288 = zfs 2000, 266; van Bühren/Plote, § 17 ARB Rn 20.
[37] OLG Hamm, r+s 1993, 145; OLG Hamm, zfs 2000, 409.
[38] OLG Köln, r+s 2001, 153; LG Münster – 15 O 281/08, r+s 2010, 106.

IV. Kostenminderungspflicht (§ 17 Abs. 1 lit. c bb ARB 2008/2010)

 

Rz. 85

Nach § 17 Abs. 1 lit. c bb ARB 2008/2010 hat der Versicherungsnehmer "die Rechtsverfolgungskosten so gering wie möglich zu halten". Auch hier ist zu berücksichtigen, dass diese Obliegenheit stets unter dem Vorbehalt steht, dass die Interessen des Versicherungsnehmers nicht unbillig beeinträchtigt werden dürfen.

§ 17 Abs. 1 lit. c bb ARB 2008/2010 ist zwar wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot nichtig;[39] gleichwohl ergibt sich das Gebot zur Kostenminderung/Schadenminderung aus § 82 VVG.

 

Rz. 86

Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit liegt dann vor, wenn mehrere Ansprüche aus dem selben Rechtsverhältnis gegen denselben Anspruchsgegner nicht in einer einzigen Klage geltend gemacht, sondern auf mehrere Klagen "verteilt" werden. Ebenso wird eine unnötige Kostenerhöhung herbeigeführt, wenn in einem Kündigungsschutzprozess nach einer erneuten Kündigung durch den Arbeitgeber nicht die Klage erweitert, sondern ein neuer Kündigungsschutzprozess geführt wird.[40]

 

Rz. 87

Eine gesonderte Klage anstatt einer möglichen Klageerweiterung ist eine mutwillige Erhöhung der Kosten, für die der Rechtsschutzversicherer nicht einzutreten hat.[41]

 

Rz. 88

Auch liegt ein Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht vor, wenn ein unrichtiger Kostenfestsetzungsbeschluss nicht angefochten wird.[42]

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