Rz. 11

Ebenso kann eine MPU angeordnet werden, wenn der Betreffende eine erhebliche Straftat oder Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht/stehen, begangen hat. Dabei weist der Normgeber in der Begründung zu dieser Vorschrift[21] ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff "erheblich" nicht ohne weiteres mit "schwerwiegend" gleichzusetzen ist, sondern sich auf die Kraftfahreignung bezieht (siehe zu "erheblich" auch Rdn10). Die Vorschrift erfasst ausdrücklich die Begehung einer – erheblichen – Straftat und die Begehung mehrerer Straftaten, da in der früheren Fassung der Norm nur die Pluralfassung genannt war und die Rechtsprechung[22] nach Sinn und Zweck der Norm Eignungszweifel auch bei Begehung einer Straftat angenommen hatte. Hierbei kommt es auf eine Gesamtschau der Zuwiderhandlungen an. Dabei können auch die vor Ausstellung einer EU-Fahrerlaubnis begangenen Auffälligkeiten mit einer nach Ausstellung einer EU-Fahrerlaubnis verwirklichten weiteren Auffälligkeit als Summe gewertet werden.[23]

Wenn der Normgeber bei der Singularfassung eine erhebliche Straftat als Tatbestandsvoraussetzung nennt, bei der Pluralfassung aber nur von Straftaten spricht, so müssen zwar keine erheblichen, aber mehrere Straftaten vorliegen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen. Das muss von der Behörde aber genau dargelegt werden. Hinzu kommt, dass § 11 Abs. 3 S. 1 FeV eine Ermessensvorschrift ist. Bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ist eine MPU nicht zwingend zu fordern, sondern kann es nur. Die Behörde muss daher auch entsprechende Ermessenserwägungen anstellen.

 

Rz. 12

Es ist zu beachten, dass eine MPU wegen der Bindungswirkung des Strafverfahrens (§ 3 Abs. 4 StVG) zur Prüfung eines Entzugs der FE im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nur gefordert werden kann, wenn dem Täter die FE im Strafverfahren – ausnahmsweise – belassen wurde und zur Fahreignung keine Aussage im Strafurteil getroffen wurde (ausführlich zum Vorrang des Strafverfahrens und zur Bindungswirkung der strafrechtlichen Entscheidung siehe § 16 Rdn 2 ff.). Im Rahmen der Wiedererteilung der FE nach einem strafrechtlichen Entzug und Ablauf der Sperrfrist muss die Verkehrsbehörde keine Bindungswirkung des Strafverfahrens beachten.

Das ist etwa auch dann der Fall, wenn nach mehrfachem "Herunterbremsen" innerhalb weniger Monate auf einer Autobahn dem Betroffenen wegen Nötigung und vorsätzlicher Gefährdung im Straßenverkehr u.a. die FE entzogen wurde. Im Wiedererteilungsverfahren rechtfertigt eine solche Tat die Forderung nach Beibringung eines Fahreignungsgutachtens, da das Geschehen Zweifel an der Rechtstreue bietet. Dabei ist die Verwaltungsbehörde grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil gebunden, sofern nicht ausnahmsweise gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit (etwa neue Tatsachen und Beweismittel) bestehen. Das ist etwa nicht der Fall, wenn eingewandt wird, dass das Urteil durch eine Absprache zwischen den Prozessbeteiligten zustande gekommen ist.[24]

 

Beispiel

Zwei Kraftfahrer überholen sich immer wieder grob verkehrswidrig und rücksichtslos und gefährden dadurch andere Verkehrsteilnehmer, weil sie sich ein "Rennen" liefern. Im Strafurteil wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) wird u.a. die FE entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung angeordnet. Nach Ablauf der Sperrfrist beantragen die Betroffenen die Wiedererteilung der FE. Die Behörde verlangt wegen der groben Rücksichtslosigkeit die Vorlage einer MPU.

[21] BR-Drucks 302/08, S. 61.
[22] VGH BW v. 25.7.2001, DAR 2002, 92 – Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung; BayVGH v. 4.9.2008, 11 ZB 07.755 – fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr.
[23] NdsOVG, Beschl. v. 27.1.2015, 12 LA 9/14, NZV 2015, 356 – mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, später hinzugekommen Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Verursachung eines Unfalls.
[24] BayVGH, Beschl. v. 13.2.2015, 11 ZB 14.1452, NJW 2015, 2988, juris.

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