I. Einleitung
Rz. 43
Die Möglichkeit der Konfliktentstehung in einer Erbengemeinschaft wird heute durch die Existenz von Vorsorgevollmachten vergrößert. Die zunehmende Zahl von pflegebedürftigen Personen und die längere Dauer der Pflegebedürftigkeit erhöhen den Bedarf an Unterstützung für ältere Personen. Um Betreuungen zu vermeiden, werden Vorsorgevollmachten gefördert und auch in steigender Zahl erteilt.
Rz. 44
Bei mehreren Kindern bevollmächtigt ein Elternteil zum Teil alle oder zumindest mehrere. Das kann schon zu Konflikten um die letztliche Entscheidungsbefugnis bei Meinungsverschiedenheiten zu Lebzeiten des vollmachtgebenden Elternteils führen. Wenn nur ein Kind bevollmächtigt wird, ist dies grundsätzlich sinnvoll, um ein Gegeneinander der Bevollmächtigten zu vermeiden. Die Auswahl kann auf einer engen persönlichen Beziehung oder schlicht räumlicher Nähe beruhen. Dies weckt aber nicht selten das Misstrauen der nicht bevollmächtigten Geschwister. Sie fühlen sich ausgeschlossen. Ohne (ausreichende) Informationen vermuten sie häufig Unregelmäßigkeiten.
Durch den Erbfall werden die nicht bevollmächtigten oder trotz Mitbevollmächtigung untätigen Kinder Mitberechtigte gegenüber dem bevollmächtigten Geschwisterkind, was zu Konflikten in der Erbengemeinschaft führen kann. Hat der Bevollmächtigte – unter Umständen mit Hilfe der Vollmacht – zudem Teile des Nachlasses aufgelöst (z.B. die Wohnung geräumt), fühlen sich die anderen Erben "ihrer Rechte beraubt".
Rz. 45
Noch problematischer sind Fälle, in denen die Vollmacht einem Kind bewusst erteilt wurde, um nach dem Erbfall Vermögen in dessen Richtung zu lenken. Unter Umständen wird damit auch versucht, eine bindend gewordene letztwillige Verfügung zu umgehen. Einem Kind soll mehr zukommen, da es dem letztversterbenden Elternteil persönlich nähersteht und/oder es unterstützt und gepflegt hat. Die sich daraus ergebenen Probleme werden oft übersehen, da die Vollmacht allein entgegen verbreiteter Annahme die Verfügungen im Innenverhältnis nicht legitimiert und obwohl eine sinnvolle Gestaltung zu Lebzeiten meist möglich ist.
II. Geltung einer Vollmacht über den Tod hinaus
Rz. 46
Eine Vollmacht, die zu Lebzeiten des Vollmachtgebers und auch danach wirken soll, wird "transmortale Vollmacht" ("Vollmacht über den Tod hinaus") genannt. In der Praxis sind regelmäßig Vorsorge- oder Bankvollmachten relevant. Die Zulässigkeit der trans- und der postmortalen Vollmacht ist inzwischen unbestritten.
Rz. 47
Stattdessen kann der Erblasser auch eine Vollmacht mit Wirkung ab dem Todesfall erteilen. Diese wird "postmortale Vollmacht" ("Vollmacht auf den Todesfall") genannt. Eine Vollmacht kann für die Erben in vielerlei Hinsicht nützlich sein. Regelmäßig muss kein Erbschein beantragt und bezahlt werden. Die (Not-)Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses werden wesentlich beschleunigt bzw. sogar erst ermöglicht. Sogar Immobilien können mit (beglaubigten oder beurkundeten) Vollmachten übertragen werden.
Rz. 48
Die Vollmacht birgt aber erhebliche Gefahren, wenn sie unbedacht erteilt und verwandt wird. Die Gestaltung sollte zumindest mit der letztwilligen Verfügung abgestimmt sein. Sind die potentiellen Erben informiert, können sie kurzfristig nach dem Erbfall tätig werden und einen eventuellen Missbrauch der Vollmacht durch den Bevollmächtigten zu verhindern versuchen.
Daraus ergibt sich auch die Gefahr der Vollmacht für die Erben: Das Vermögen des vollmachtgebenden Erblassers kann bei unsachgemäßer Gestaltung der Vorsorgeregelungen schon vor oder auch nach dem Erbfall vom Bevollmächtigten veruntreut werden. Ersatzansprüche gegen den Bevollmächtigten sind regelmäßig nur sehr mühsam zu realisieren.
Die Vorsorgevollmacht kann schließlich für den Bevollmächtigten die so genannte "Vollmachtsfalle" eröffnen: Unter Umständen ist er für einen langen Zeitraum rechenschafts- und im Einzelfall auch schadensersatzpflichtig gegenüber den (Mit-)Erben.
Rz. 49
Der Tod des Vollmachtgebers führt in der Regel nicht zum Erlöschen der Vollmacht. Angeknüpft wird an § 168 S. 1 BGB, durch den i.d.R. §§ 672, 675 BGB anzuwenden sind. Dies kann als einheitliche Meinung für die Fälle angesehen werden, bei denen der Bevollmächtigte kein (Mit-)Erbe ist (dazu unten Rdn 52 f.) und aus dem Wortlaut der Vollmacht nichts anderes hervorgeht. Mitunter enthalten Vorsorgevollmachten keine Klarstellung der Geltung über den Tod hinaus, aber für Unsicherheiten sorgende Formulierungen ("dient meiner Versorgung im Falle der Betreuungsbedürftigkeit" – diese wird nach dem Tod nicht mehr anzunehmen sein). Grundsätzlich ist aber auch bei einer Vorsorgevollmacht von einer Geltung über den Tod hinaus auszugehen, allein schon deshalb, weil diese praktische Funktion bekannt und auch eine Motivation zur Vollmachtserteilung geworden ist.
Rz. 50
Vertreten werden die Erben, aber beschränkt auf den Nachlass. Der Bevollmächtigte darf handeln, wie er es für den Erblasser durfte: Dies ist eine Folge der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB). Die Vertretungsmacht kann sich aber nicht ...