I. Antrag eines Ehegatten
Rz. 4
Die Ausweichklausel kommt nur auf Antrag eines Ehegatten zur Anwendung. In der Regel wird ohnehin eine güterrechtliche Streitigkeit anhängig sein. Voraussetzung ist dies jedoch nicht. Zulässig ist m.E. ein Antrag – wohl in der Form eines Antrags auf Erlass eines Gestaltungsbeschlusses bzw. in Form einer Gestaltungsklage – mit dem Ziel, der gerichtlichen Regelung nicht nur des maßgeblichen Güterrechtsstatuts, sondern m.E. auch unmittelbar des in der Ehe bestehenden nationalen Güterstandes.
Antragsberechtigt ist jeder Ehegatte allein.
Es handelt sich trotz der etwas missverständlichen Formulierung in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO nicht um eine Ermessensentscheidung. Das "kann" ordnet dem Gericht nur die Befugnis zu, in dieser Frage zu entscheiden.
II. Fehlende güterrechtliche Rechtswahl
Rz. 5
Eine güterrechtliche Rechtswahl hätte Vorrang vor der allgemeinen gesetzlichen Regelung, Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 4 EuGüVO.
"Artikel 26 Mangels Rechtswahl der Parteien anzuwendendes Recht
…
(3) …Dieser Absatz gilt nicht, wenn die Ehegatten vor der Begründung ihres letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat eine Vereinbarung über den ehelichen Güterstand getroffen haben."
Hinweis
Bei einer güterrechtlichen Rechtswahl kann die Ausweichklausel nicht angewandt werden.
III. Objektives Element: Zeitdauer des letzten gewöhnlichen Aufenthalts
Rz. 6
Voraussetzung für ein solches Verfahren ist, dass der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt in einem konkreten Staat von längerer Dauer war als der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt. Wann diese Voraussetzung erfüllt ist, wird von der EuGüVO im Detail nicht geregelt. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an.
Hinweis
Entscheidend ist die Zeitdauer des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten.
IV. Subjektiver Vertrauenstatbestand
Rz. 7
Außerdem müssen beide Ehegatten auf das Recht dieses anderen Staates bei der Regelung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen vertraut haben. Sie müssen also von einem anderen Güterrechtsstatut (nicht Güterstand) ausgegangen sein, ohne dass von ihnen eine güterrechtliche Rechtswahl getroffen worden wäre, Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 1 lit. b EuGüVO.
"…(3) Ausnahmsweise kann das Gericht, das für Fragen des ehelichen Güterstands zuständig ist, auf Antrag eines der Ehegatten entscheiden, dass das Recht eines anderen Staates als des Staates, dessen Recht nach Absatz 1 Buchstabe a anzuwenden ist, für den ehelichen Güterstand gilt, sofern …b) beide Ehegatten auf das Recht dieses anderen Staates bei der Regelung oder Planung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen vertraut hatten."
Hinweis
Beide Ehegatten müssen auf das Recht des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts vertraut haben.
V. Beweislast
Rz. 8
Der Antragsteller hat die Beweislast für das Vorliegen der objektiven und subjektiven tatbestandlichen Voraussetzungen, Art. 26 Abs. 3 EuGüVO.
"(3) Ausnahmsweise kann das Gericht, …auf Antrag eines der Ehegatten entscheiden, dass das Recht eines anderen Staates als des Staates, dessen Recht nach Absatz 1 Buchstabe a anzuwenden ist, für den ehelichen Güterstand gilt, sofern der Antragsteller nachweist, dass …"
VI. Keine Auswirkung auf Rechte Dritter
Rz. 9
Die Anwendung der Ausweichklausel darf nicht zu einer Beeinträchtigung der Rechte Dritter führen, Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 3 EuGüVO. Auf das Vertrauen des Dritten kommt es nicht an.
"(3) …Die Anwendung des Rechts des anderen Staates darf die Rechte Dritter, die sich auf das nach Absatz 1 Buchstabe a anzuwendende Recht gründen, nicht beeinträchtigen."
VII. Rechtswirkungen der gerichtlichen Entscheidung
Rz. 10
Bejaht das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausweichklausel, so gilt als Güterrechtsstatut das Recht des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, und zwar abweichend vom Unwandelbarkeitsgrundsatz rückwirkend ab Eheschließung.
VIII. Widerspruchsrecht jedes Ehegatten
Rz. 11
Jeder Ehegatte, auch der Antragsteller selbst, kann der Rückwirkung widersprechen. In einem solchen Falle gilt das Recht am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt erst ab dessen Begründung, Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 2 EuGüVO.
"(3) …Das Recht dieses anderen Staates gilt ab dem Zeitpunkt der Eheschließung, es sei denn, ein Ehegatte ist damit nicht einverstanden. In diesem Fall gilt das Recht dieses anderen Staates ab Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat."
Hinweis
Grundsatz:
Mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Eheschließung gilt das Güterrecht des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts.
Ausnahme:
Ein Ehegatte widerspricht der Rückwirkung. Dann gilt eine zeitliche Staffelung: erster Güterstand bei Beginn der Ehe, zweiter Güterstand ab Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten
Rz. 12
Beispiel
M und F, beide deutsche Staatsangehörige, schließen in Italien die Ehe. Beide haben eine Anstellung in Venedig und begründen dort ihren gemeinsamen Wohnsitz in der Absicht, dauerhaft dort wohnen zu bleiben. In Verkennung der neuen güterrechtlichen Rechtslage gem. der EuErbVO gehen sie davon aus, für sie als deutsche Staatsangehörige gelte deutsches Güterrechtsstatut und damit die deutsche Zugewinng...