Rz. 8

§ 517 BGB nimmt spezielle Tatbestände, die man unter eine Schenkung subsumieren könnte, vom Schenkungstatbestand aus.[16] Er verdeutlicht damit den gesetzlichen Schenkungsbegriff, indem er bestimmte Tatbestände ausschließt und nicht als Bereicherung begreift. Im Wege der Negativdefinition werden aus dem Anwendungsbereich des § 516 BGB als "Nicht-Schenkung" herausgelöst, wenn jemand

zum Vorteil eines anderen einen Vermögenserwerb unterlässt
auf ein angefallenes, noch nicht endgültig erworbenes Recht verzichtet
eine Erbschaft oder ein Vermächtnis ausschlägt.

Es fehlt in diesen Fällen an der erforderlichen Vermögensminderung.

 

Rz. 9

 

Fallbeispiel 102: Der Verzicht auf den Rückübereignungsanspruch und die Löschung der Sicherungsvormerkung

Die Mutter M hatte ihrem Sohn unentgeltlich ein Wohnhaus übertragen. Beide hatten die Einräumung eines Wohn- und Nutzungsrechts zugunsten der M vereinbart.

Weiter war im Übergabevertrag bestimmt, dass eine bedingte Rückübertragungsverpflichtung des Sohnes bestehen sollte, nämlich für den Fall, dass er ohne die Zustimmung der Mutter über den Grundbesitz verfügen, einem Insolvenzverfahren unterliegen oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt sein würde. Zur Sicherung des aufschiebend bedingten Rückübereignungsanspruchs wurde eine Vormerkung zugunsten der Mutter ins Grundbuch eingetragen.

Die Beteiligten hoben zwölf Jahre später – wenige Monate vor Heimaufnahme der nunmehr mittellosen Mutter – den Rückübertragungsanspruch auf und beantragten und bewilligten die Löschung der Vormerkung. Der Sohn veräußerte die Immobilie wenige Monate später.

Das Sozialamt hält die Löschung der Rückauflassungsvormerkung für eine Schenkung zugunsten des Sohnes, weil die Vormerkung werthaltig gewesen sei und den Verkehrswert des Grundstücks negativ beeinträchtigt habe und leitet den Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 93 SGB XII über.[17]

 

Rz. 10

§ 517 BGB regelt, dass der Verzicht auf ein angefallenes, noch nicht endgültig erworbenes Recht keine Schenkung darstellt.

Davon abzugrenzen ist der Verzicht auf ein bereits entstandenes, also gesichertes Recht.[18] Dingliche Rechte werden durch Erklärung des Berechtigten aufgehoben (z.B. § 875 BGB). Angesichts der bestehenden gesicherten Rechtsposition, die aufgegeben wird, wird z.B. der Verzicht auf ein dingliches Wohnungsrecht oder ein Nießbrauchsrecht nicht von § 517 BGB erfasst.[19]

Davon wiederum ist der Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB), dessen Inhalt der Verzicht auf eine Forderung ist, abzugrenzen. Er wird typischerweise aufgrund eines anderen, für den Erlass kausalen Rechtsgeschäfts abgeschlossen.[20] Dabei handelt es sich, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen (Entreicherung, Bereicherung, Einigung über die Unentgeltlichkeit), um eine Schenkung,[21] deren Vollzug im Abschluss des Erlassvertrages liegt.[22]

 

Rz. 11

Falllösung Fallbeispiel 102:

Der Schenkungsrückforderungsanspruch an der Immobilie war nach § 519 Abs. 2 BGB wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist erloschen.

Die Mutter hat aber kurz vor Heimaufnahme ohne Gegenleistung auf das ihr im Übergabevertrag für den ungewissen Fall des Eintritts bestimmter Voraussetzungen eingeräumte und damit bedingte Rückforderungsrecht bezüglich des damaligen Vertragsgegenstands verzichtet und die Löschung der entsprechenden Vormerkung beantragt und bewilligt.

Zu den angefallenen, noch nicht endgültig erworbenen Rechten gehören die aufschiebend bedingten Rechte, nicht dagegen die betagten Rechte. Der Rückübertragungsanspruch der Mutter des Beschenkten war im Übergabevertrag vereinbart, aber sie hatte ihn mangels Eintritts der aufschiebenden Bedingung noch nicht endgültig erworben. Damit liegen an sich die Voraussetzungen des § 517 Alt. 2 BGB vor. In diesem Sinne hat auch das OLG München den Fall entschieden. Die Literatur vertritt dagegen z.T. die Auffassung, dass angesichts des Vermögenscharakters von Anwartschaften beim Verzicht auf eine solche Anwartschaft von einer Schenkung auszugehen sei.[23]

 

Rz. 12

Die vermittelnde Meinung stellt auf das Grundgeschäft ab, aus dem die Anwartschaft entstanden ist:

Stammt das Anwartschaftsrecht aus einem entgeltlichen Grundgeschäft, dann begründet der Verzicht auf das Anwartschaftsrecht zugleich einen Verzicht auf die Vollendung des vertragsgemäßen Rechtserwerbs. Ist die Gegenleistung in diesem Moment noch nicht erbracht, liegt in diesem Verzicht lediglich eine vertragliche Änderung des Grundgeschäfts, die nicht den Charakter einer Schenkung hat. Ist die Gegenleistung bereits ganz oder teilweise erbracht und verzichtet der Berechtigte mit der Anwartschaft auch auf ihre Rückerstattung, dann soll darin die Schenkung dieser Gegenleistung liegen.

Bezieht sich das Anwartschaftsrecht auf ein unentgeltliches Grundverhältnis, so liegt in dem Verzicht keine Schenkung an den Eigentümer, da der Berechtigte lediglich i.S.d. § 517 BGB auf ein noch nicht endgültig erworbenes Recht verzichtet.[24]

Vorliegend war das Grundverhältnis nach der Wertung des Gerichts überwiegend unentgeltli...

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