Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 196
Es ist anerkannt, dass auch städtische Grundstücke mit einem Leibgedinge belastet werden können. Aber nicht jede Grundstücksübertragung mit Verpflichtung zu Versorgungsleistungen ist ein Leibgedinge/Altenteil. Der Regelfall dürfte heute der Fall sein, der kein Leibgedinge darstellt.
Rz. 197
Fallbeispiel 110: Lebenslanges Wohnungsrecht/Pflege und Wart
Mutter M aus Köln übertrug ihrer Tochter T das Eigentum an ihrem Hausgrundstück. Im Vertrag ist Folgendes bestimmt:
"(…) Die Beteiligte zu 2. [das ist die Tochter T] räumt ihrer Mutter, der Beteiligten zu 1., ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an sämtlichen Räumen in der ersten Etage, mit Ausnahme eines Zimmers straßenwärts gelegen, ein. Die Beteiligte zu 2. verpflichtet sich auf jederzeit zulässiges Verlangen der Beteiligten zu 1., dieser bis zum Lebensende unentgeltlich Pflege und Aufwartung zu gewähren."
M wurde Jahre später pflegebedürftig und musste in einem Altenheim aufgenommen werden. Sie ist der Auffassung, dass sie die Zahlung einer monatlichen Rente verlangen könne, da sie infolge ihrer Pflegebedürftigkeit außerstande sei, das ausbedungene Wohnrecht und die geschuldeten Pflegeleistungen weiterhin in Anspruch zu nehmen. Sie stützt dies u.a. auf die Regeln zum Leibgedinge.
Rz. 198
Falllösung Fallbeispiel 110:
Der Fall spielt in Nordrhein-Westfalen. Es sind die landesrechtlichen Regelungen zu prüfen, soweit nicht individualrechtliche Vereinbarungen vorgehen. Vorliegend gibt es nur eine Pflegeverpflichtung, aber keine Störfallregelung zum Ausfall einer solchen.
Gemäß Art. 15 § 9 Abs. 3 und 2 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum BGB, der nach Art. 96 EGBGB weiter Geltung hat, hat die Tochter T der Mutter M eine Geldrente zu gewähren, wenn sie durch andere Umstände als durch das Verhalten der Tochter ohne eigenes Verschulden genötigt ist, das Grundstück dauernd zu verlassen. Eine solche Geldrente ist eigenes Einkommen und sozialhilferechtlich vom Hilfebedürftigen einzusetzen. Kann er das nicht zeitnah, kommt die Überleitung des Anspruchs – bzw. der Übergang – in Betracht.
Rz. 199
Der Anspruch auf Geldrente setzt einen Leibgedingvertrag voraus. Grundsätzlich ist ein solcher Vertrag auch hinsichtlich eines einzelnen städtischen Hauses möglich, hier im Fall aber zu verneinen. Eine Grundstücksübertragung wird nicht alleine durch eine Wohnrechtsgewährung mit Pflege- und Versorgungsverpflichtung zu einem Altenteils- oder Leibgedingvertrag. Dazu ist nach der Rechtsprechung des BGH erforderlich, dass der Übergeber dem Übernehmer nach Art einer vorweggenommenen Erbfolge seine wirtschaftliche Lebensgrundlage überträgt, um dafür in die persönliche Gebundenheit eines abhängigen Versorgungsverhältnisses einzutreten, während der Übernehmer eine wirtschaftlich selbstständige Stellung erlangt: "Es genügt mithin nicht, dass der Übernehmer das erlangte Grundstück zur Schaffung seiner wirtschaftlichen Lebensgrundlage nutzt. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass die Existenzgrundlage vom Übergeber bereits geschaffen war und der Übernehmer in diese eintritt."
Rz. 200
Mit dem Leibgedinge unter Angehörigen macht der Zuwendende sein Kind quasi überhaupt erst leistungsfähig, damit dieses ihm Unterhalt gewähren kann. Daran fehlt es im vorstehenden Fall. Anders als beim Leibgedinge gibt es für solche Fälle keine gesetzlichen Störfallregelungen. Fraglich ist in solchen Fällen deshalb, ob Ansprüche der Mutter aus anderen Rechtsgrundlagen hergeleitet werden können. Individuelle Regelungen fehlen häufig. Fraglich ist also, was gelten soll, wenn die Ausübung des Wohnungsrechts durch Heimunterbringung "gestört" wird.