Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 187
Schenkungsrückforderungsansprüche an einer Zuwendung kommen nicht mehr in Betracht, wenn seit dem Vollzug der Schenkung zehn Jahre vergangen sind. Dann sind Zuwendungen als solche herausgabe- und damit "sozialhilfesicher". Umso interessanter sind dann im Zusammenhang mit der Zuwendung vorbehaltene oder eingeräumte Ansprüche, Gegenleistungsansprüche oder Ersatzansprüche. In Zeiten steigender Zahlen pflegebedürftiger Eltern nimmt bei der Gestaltung von Zuwendungsverträgen zwischen Eltern und Kindern auch kontinuierlich das Problembewusstsein dafür zu, dass solche Ansprüche Einkommen oder Vermögen sein und vom Sozialhilfeträger übergeleitet und geltend gemacht werden können.
Es besteht mittlerweile auch ein gewisses Problembewusstsein dafür, dass trotz der 100.000-Euro-Grenze des § 94 Abs. 1a SGB XII i.V.m. § 16 SGB IV, § 2 Abs. 2 EStG leistungsfähige Geschwisterkinder, die keine Zuwendungen erhalten haben, trotzdem auf Elternunterhalt in Anspruch genommen werden können, und dass es deshalb sinnvoll sein kann, frühzeitig über interne Ausgleichs- und Freistellungsregelungen unter Geschwistern nachzudenken.
In alten Notarverträgen fehlt dieses Problembewusstsein häufiger und es kommt nicht selten vor, dass der Sozialhilfeträger Sozialleistungen wegen solcher Ansprüche versagt oder sie bei Zahlungsverweigerung des Zuwendungsempfängers auf sich überleitet.
I. Individuelle und gesetzliche (Ersatz-)Ansprüche aus Übergabeverträgen
1. Kennzeichen des Leibgedinges/Altenteils
Rz. 188
"Vereinbarungen, in denen Eltern ihr Vermögen, insbesondere ihren Betrieb oder ihren privaten Grundbesitz, mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge auf einen oder mehrere Abkömmlinge übertragen und dabei für sich einen ausreichenden Lebensunterhalt und für die außer dem Übernehmer noch vorhandenen weiteren Abkömmlinge Ausgleichszahlungen ausbedingen, werden im Zivilrecht als Übergabeverträge bezeichnet. Solche Vereinbarungen sind als Hofübergabeverträge vor allem in der Landwirtschaft gebräuchlich. Die vom Übernehmer zugesagten Versorgungsleistungen werden hier als Altenteil oder Leibgedinge bezeichnet."
Statt des Begriffs "Leibgedinge" wird auch der Begriff des Leibzuchts-, Altenteils-, Auszugs- oder Ausgedingevertrages benutzt. Charakteristisch ist, dass die Nutzungen/Leistungen der langfristigen persönlichen Versorgung des Berechtigten dienen. Die klassische Ausgestaltung der Versorgungsleistungen besteht aus
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Ansprüchen auf Verpflegung |
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dem Wohnrecht |
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Ansprüchen auf monatliche Zahlungen. |
Das Leibgeding gehört zu den beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten. Es ist an den Begünstigten gebunden und nicht übertragbar.
Praxishinweis
Die Berufung auf ein Altenteil/Leibgeding ist für den Übernehmer in Bedürftigkeitsfällen kontraproduktiv, weil damit von vorneherein impliziert ist, dass es dem Übergeber auf die Versorgung im Alter ankam. Hierzu der BGH:
"Wohnung, Beköstigung, häusliche Dienste, Pflege und Taschengeld (Leibrente) sind geschuldet. Das zeigt, dass die Antragstellerin nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verwiesen, sondern umfassend von der Familie versorgt werden sollte."
2. Art. 96 EGBGB und das Landesrecht
Rz. 189
Wenn es sich bei der Vereinbarung der Beteiligten tatsächlich um ein Leibgedinge handelt, dann kommt Art. 96 EGBGB zur Anwendung. Art. 96 EGBGB regelt, dass die landesgesetzlichen Vorschriften über einen mit der Überlassung eines Grundstücks in Verbindung stehenden Leibgedings-, Leibzuchts-, Altenteils- oder Auszugsvertrag unberührt bleiben, soweit sie das sich aus dem Vertrag ergebende Schuldverhältnis für den Fall regeln, dass nicht besondere Vereinbarungen getroffen werden.
Die Vereinbarung eines Leibgedinges/Altenteils mit obligatorischer Wirkung ist zulässig und Art. 96 EGBGB anwendbar.
Rz. 190
Die landesrechtlichen Regelungen haben lediglich vertragsergänzenden Charakter und sind dispositiv. Damit ist zunächst immer zu prüfen, ob es Individualregelungen der Beteiligten gibt und ob die Ansprüche, die sie begründen, vorrangig vor Sozialhilfeleistungen sind. Für den Fall der Bedürftigkeit des Altenteilers ist die Überleitung z.B. eines Leibrentenanspruchs ohne Weiteres möglich. Der Anspruchsübergang für künftige Ansprüche steht lediglich unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Sozialhilfebehörde tatsächlich Leistungen in entsprechender Höhe erbringt. Insoweit gibt es keine Fragen, falls der Wechsel von Zuhause ins Pflegeheim erfolgen muss und keine entsprechenden Beendigungsregelungen vertraglich vereinbart sind.