Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 20
Sittlich gebotene Schenkungen zielen auf die Moral ab. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass das Unterlassen der Schenkung sich im konkreten Einzelfall als sittliche Verfehlung des Schenkers darstellen würde. Eine allgemein sittliche Pflicht, durch eine Schenkung helfen zu müssen, reicht nicht aus. Es kommt auf die konkreten Umstände des Einzelfalles und die Beziehung der Beteiligten zueinander an. Ebenfalls sind die Leistungen, die der Bedachte für den Erblasser erbracht hat, zu berücksichtigen. Die Literatur weist deshalb ausdrücklich darauf hin, dass die Rechtsprechung bisher keine verallgemeinerungsfähigen Kategorien ausgebildet hat.
Rz. 21
Als Beispiele für Pflichtschenkungen werden genannt:
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die Unterstützung naher Angehöriger, die keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, wenn das Unterlassen der Schenkung als sittlich anstößig empfunden würde; |
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die Schenkung zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft; |
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die Einräumung eines Bezugsrechts aus einer Lebensversicherung zugunsten der unversorgten Ehefrau; |
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der Erlass eines Pflichtteilsanspruchs zur Sicherung des Wohnens der alleinerbenden Mutter; |
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die Zuwendung eines Grundstücks für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder auch für unentgeltliche Pflege und Versorgung. |
Rz. 22
Fallbeispiel 103: Die Übertragung aus Dankbarkeit
Sohn S pflegt seinen Vater V bereits seit vielen Jahren in dessen Haus, in dem er selbst auch wohnt. V überträgt sein Hausgrundstück deshalb aus Dankbarkeit "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" auf S. Sieben Jahre später wird V infolge eines Schlaganfalls heim- und damit sozialhilfebedürftig. Das Sozialamt leitet einen Schenkungsrückforderungsanspruch über. S wendet ein, er habe die Immobilie als Pflichtschenkung nach § 534 BGB erhalten.
Rz. 23
Falllösung Fallbeispiel 103:
Vor der Zuwendung erbrachte Leistungen/Zuwendungen des später Bedachten können die Unentgeltlichkeit einer Zuwendung mindern (z.B. auch Investitionen auf den später überlassenen Grundbesitz), wenn die Beteiligten sich über die insoweit bestehende Entgeltlichkeit einigen oder geeinigt haben. Entscheidend kommt es darauf an, dass sich die Beteiligten darüber einig sind, dass die ursprünglich unentgeltlich erbrachte Leistung nicht nur belohnt, sondern entlohnt wird. Der Zuwendende bietet also seine Leistung im Wege der Vertragsänderung als Gegenleistung (bei ursprünglicher Schenkung) oder als Zusatzleistung (bei bereits ursprünglich entgeltlichem Vertrag) an.
Eine entsprechende Vereinbarung lässt sich nicht – auch nicht konkludent – aus dem vorstehenden Sachverhalt ableiten. S macht auch nur § 534 BGB geltend, der zumindest teilweise greifen könnte.
Rz. 24
Freiwillig erbrachte Pflegeleistungen sollen einem Anspruch aus § 528 BGB nach der Rechtsprechung des BGH nicht – jedenfalls nicht generell – entgegengehalten werden können. Einen Automatismus zwischen Pflege und Entlohnung gibt es nicht; erst recht nicht bei Familienangehörigen. Ein Grundsatz, dass die Zuwendung für geleistete Pflege einer sittlichen Pflicht entspricht, soll nicht bestehen. Der Umstand, dass Kinder ihre Eltern pflegen, begründet nach Auffassung der Rechtsprechung für sich allein genommen selbst dann, wenn ein rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht bestand, noch keine sittliche Pflicht der Eltern zu Schenkungen an ihre Kinder.
Rz. 25
Es reicht nicht aus, dass eine Zuwendung sittlich wegen der Pflege des Vaters gerechtfertigt ist, sie muss auch sittlich geboten sein. Das ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Ausbleiben einer solchen Belohnung als sittlich anstößig erscheinen lassen, was z.B. zu bejahen sein soll, wenn der die Pflegeleistung Erbringende schwerwiegende persönliche Opfer erbracht hat und deswegen in die Notlage geraten ist. Die Messlatte wird von der Rechtsprechung hoch angelegt; sie soll z.B. "mit der sittlichen Idee der Familiengemeinschaft" verbunden sein. Selbst eine über Jahre hinweg erbrachte 15-stündige Wochenpflege soll nach einer Entscheidung des LG Saarbrücken für eine sittliche Pflicht zur Entlohnung nicht ausreichen.
Rz. 26
Andererseits hatte die Rechtsprechung bisher auch zumeist mit Fällen zu tun, in denen die Pflegeleistungen – wie im vorliegenden Fall – bereits durch mietfreies Wohnen oder sonstige Zuwendungen (teil-)kompensiert worden waren, so dass Pflegeleistungen in besonders gelagerten Einzelfällen m.E. durchaus eine sittliche Verpflichtung zu Zuwendungen oder deren Rechtfertigungen zu begründen vermögen.
Die Rechtsprechung weist dazu allerdings nur wenige Fälle auf:
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So hat das BayObLG Unterstützungsleistungen an nahe Angehörige als in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erbracht angesehen, wenn ein rechtlicher Unterhaltsanspruch nicht bestand. |
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Das OLG Frankfurt hat in einer Entscheidung aus 2007 die sittliche Verpflichtung bei relativ schwach ausgeprägte... |