Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 80
Die Rechtsprechung akzeptiert als rechtlichen Grund für einen entgeltlichen Leistungsaustausch die sog. vorweggenommene Erfüllungshandlung. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt, dass Zuwendungen, die zur Erfüllung einer Verbindlichkeit geleistet werden, entgeltlich sind, weil die dadurch bewirkte Befreiung von der Verbindlichkeit einen Vermögensvorteil für den Leistenden darstellt und dementsprechend der durch die Leistung erfüllte Anspruch des Empfängers erlischt.
Rz. 81
Fallbeispiel 108: Der Sohn und die Gefahr fehlgeschlagener Investitionen
Sohn S lebte mit seiner Mutter M in deren seit vielen Jahren nicht mehr modernisierten Wohnung. Die Räume (140 qm) wurden dem S unentgeltlich mitüberlassen und er investierte im Laufe der Jahre 100.000 EUR in den Ausbau in der Erwartung, dass er dort lebenslang wohnen könne und ohnehin der Alleinerbe seiner Mutter werde. Darüber waren sich die Beteiligten schon zu Beginn der Arbeiten einig.
2018 wurde M heimpflegebedürftig und beantragte mangels entsprechender liquider Mittel Sozialhilfe. Das Sozialamt bot darlehensweise Leistungen gegen Sicherung durch eine Grundschuld an und verlangt die Vermietung der Wohnung an den S zur Aufstockung der monatlichen Eigenleistung.
Sohn S fragt, ob er die Investition in die Wohnung erstattet bekommt für den Fall, dass die Grundschuld eines Tages den Wert der Immobilie vollkommen ausschöpft und verwertet werden muss.
Alternativ: S fragt an, ob es Sinn macht, die Immobilie, die einen Wert von 180.000 EUR hat, jetzt auf sich übertragen zu lassen.
Rz. 82
Das Konstrukt der vorweggenommenen Erfüllungshandlung hat seinen Ausgangspunkt bei einem Fall einer langjährig erbrachten Pflege eines Schwerkranken, der versprochen hatte, für die Pflege im Rahmen eines Testaments eine Zuwendung zu machen, die aber dann unterblieb. Hierzu hatte das Reichsgericht ausgeführt, dass trotz eines nicht zustande gekommenen Dienstvertrages eine angemessene Vergütung als stillschweigend vereinbart zu gelten hätte, wenn die Dienstleistungen den Umständen nach (Umfang und lange Zeitdauer) nur gegen eine solche Vergütung zu erwarten gewesen seien. Außerdem komme ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Betracht, wenn die Pflege während der langen Krankheit des Gepflegten in der Erwartung gewährt worden sei, "er werde sich in reichem Maße erkenntlich zeigen". Da dieser erwartete Erfolg nicht eingetreten sei, weil der Gepflegte eine solche letztwillige Verfügung nicht hinterlassen habe, sei der Erbe zur Herausgabe des vom Erblasser durch die Pflege und Wartung Empfangenen verpflichtet und, da die Herausgabe wegen der Beschaffenheit der erlangten Dienstleistungen nicht möglich ist, könne die Pflegende den Wert der gewährten Dienstleistungen, also angemessene Vergütung, verlangen. Werden also im Hinblick auf eine erhoffte Zuwendung Leistungen erbracht und ist in Kenntnis dieser Erwartung eine Erbeinsetzung nicht erfolgt, widerrufen worden oder – durch Heimunterbringungskosten – voraussichtlich unmöglich geworden, dann kann dies u.a. einen Bereicherungsanspruch des Leistenden begründen.
Rz. 83
Solche Ansprüche entstehen aber erst dann, wenn feststeht, dass der mit der Vorleistung bezweckte Erfolg nicht eintritt, nicht eintreten kann oder die Bereicherung ungerechtfertigt ist. Das ist zu spät für diejenigen Fälle, in denen man damit rechnen muss, dass der zu übertragende Vermögenswert verlorengehen wird. Entscheidet sich der von den Vorleistungen Begünstigte, jetzt den erwarteten Vermögenstransfer vorzunehmen, so werden Ansprüche auf eine angemessene Vergütung, egal aus welchem Rechtsgrund, vermieden bzw. sie erlöschen. Die Vermeidung solcher Ansprüche macht die Zuwendung des zuerst Begünstigten (ganz oder teilweise) zur entgeltlichen Zuwendung.
Rz. 84
Falllösung Fallbeispiel 108:
Nach § 539 Abs. 1 BGB kann aus einem Mietverhältnis Aufwendungsersatz geltend gemacht werden. Ein Mietverhältnis besteht in Fällen der vorliegenden Art in der Regel nicht. Bei unentgeltlicher Gebrauchsüberlassung gilt § 601 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Ansprüche bestimmen sich nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB). Sie sind in der Regel nach § 685 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Sohn nicht die Absicht hatte, von seiner Mutter Ersatz für seine Aufwendungen zu verlangen.
Rz. 85
Alternativ kommt ein Anspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht. Ein solcher Anspruch besteht dann, wenn es sich bei den Verwendungen auf ein Grundstück um eine auf einer Lebensgemeinschaft unter Verwandten bezogene unbenannte Zuwendung handeln würde, die auf einem – ggf. stillschweigenden – familienrechtlichen Kooperationsvertrag beruht. Unbenannte Zuwendungen sind aber allein solche Zuwendungen, die ein Partner dem anderen um der Gemeinschaft willen und als dessen Beitrag zu deren Verwirklichung, Ausgestaltung, Erhaltung oder Sicherung zukommen lässt, wobei er die Vorstellung oder Erwartung hegt, dass die Gemeinsc...