Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 65
Vorstehend wurden unter Rdn 60 ff. die Fallkonstellationen erörtert, bei denen die eigentliche Zuwendung zuerst da war und dann entweder zeitgleich oder später die Leistung des Zuwendungsempfängers erfolgte oder erfolgen sollte. In der Praxis ist es aber nicht selten, dass der spätere Zuwendungsempfänger zunächst eine Leistung erbringt und erst später eine Zuwendung erfolgt.
Hinweis
Unproblematisch sind die Fälle, bei denen der Vorleistende sich die Entgeltlichkeit bestätigen lässt, z.B. im Rahmen eines Schuldanerkenntnisses oder einer dinglich abgesicherten Darlehens-/Stundungsvereinbarung.
Rz. 66
In den anderen Fällen ist zu fragen, ob man die Leistung des späteren Zuwendungsempfängers mit derjenigen des Zuwendenden in ein echtes Gegenleistungsverhältnis stellen kann ("rückwärts das Mandat in einen Dienst- oder Werkvertrag umwandeln"). Oder handelt es sich lediglich um eine nachträgliche Belohnung?
Rz. 67
Fallbeispiel 106: Erst pflegen, dann vergüten
Tochter T hatte seit vielen Jahren für ihre Eltern in deren Haus Pflegeleistungen erbracht. Nach dem Tod des bis zu seinem Tod zu Hause gepflegten Vaters übertrug die Mutter ihrer Tochter ihren hälftigen Anteil an der bewohnten Immobilie und ihren Erbanteil nach dem verstorbenen Vater "mit Rücksicht auf die von ihr getragenen Pflegekosten für ihren Vater, die für ihre Eltern in der Vergangenheit erbrachten Pflegeleistungen, die damit verbundenen Einschränkungen ihrer beruflichen Tätigkeit mit der Folge einer Einkommensminderung, die Kosten für die Beschäftigung einer Hilfe im eigenen Haushalt und für zukünftige Pflegeleistungen für ihre Mutter". Wenige Wochen später erlitt die Mutter einen Schlaganfall und wurde heimpflegebedürftig. Der Sozialhilfeträger leitete die Ansprüche auf die Herausgabe der Schenkung und der im Vertrag vereinbarten Pflegeleistungen nach § 93 SGB XII auf sich über.
Rz. 68
Schon das RG hat entscheidend darauf abgestellt, dass für den Charakter eines Rechtsgeschäfts nicht nur die objektive Sachlage entscheidet, sondern der erklärte Wille der Parteien von maßgebender Bedeutung sei. Bei einer Schenkung müssten beide über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig sein. Eine Einigung über die Unentgeltlichkeit läge aber nicht vor, wenn nicht nur ein Dank erwiesen werden solle, sondern die Dienste mit dem versprochenen Betrag bezahlt werden und der Leistende diese Bezahlung auch als solche habe annehmen wollen. Eine belohnende Schenkung liege demgegenüber vor, wenn der Schenker dem Beschenkten für eine von diesem erbrachte Leistung eine rechtlich nicht geschuldete Belohnung (= "Dankbarkeit zum Ausdruck bringen will") gewähre.
Rz. 69
Der BGH hat die Rechtsprechung des RG fortgeschrieben, indem er auch insoweit aus der Vertragsfreiheit der Beteiligten (§§ 305, 311 BGB) das Recht herleitet, durch Vereinbarung eine vereinbarte Vergütung nachträglich zu erhöhen oder eine ursprünglich unentgeltliche Zuwendung sogar vollständig umzuwidmen: Danach ist es rechtlich möglich, auch durch eine nachträgliche Einigung über die Entgeltlichkeit der Dienste in Vergangenheit und Zukunft einen vertraglichen Vergütungsanspruch zu begründen.
Rz. 70
Die Trennlinie zu den Fällen, in denen der zuerst Leistende schon von Anfang an klargemacht, dass er eine Leistung für seine Dienste erwarte, und der andere Teil dies erkennt und akzeptiert, ist in manchen Fallkonstellationen so schmal, dass die Fälle kaum noch voneinander unterscheidbar sind. Larenz spricht von der "Erfüllung einer Verpflichtung zwar nicht des strengen Rechts, aber doch einer nach Billigkeit verstandenen Lohngerechtigkeit." Es sei kein obligatorischer Vertrag, sondern eine Abrede über den Rechtsgrund. Zeranski begrenzt diese Fallgruppe auf Fälle, bei denen es bei der Erstzuwendung um Leistungen geht, die gewöhnlich nicht unentgeltlich erlangt und bei deren unentgeltliche Zuwendung eine besondere Situation bestand, die nicht selten dadurch gekennzeichnet werde, dass der Empfänger seinerzeit gar nicht in der Lage war, die Leistung zu vergüten. Namentlich im familiären Bereich würde selbst ein größerer Umfang an Leistungen nicht als in dem Sinne unangemessen angesehen, als dass man entgelten wolle. Man wolle sich nur freigiebig zeigen und den Erstzuwendenden für seine damalige Zuwendung mit einer Schenkung belohnen.
Rz. 71
Falllösung Fallbeispiel 106:
Zuwendungen der Mutter an die Tochter im vorstehenden Fall können Gegenleistung für erbrachte (Pflege-)Leistungen an beide Elternteile sein, zu denen die Tochter – entgegen anderslautender Auffassungen zu § 1618a BGB – nicht gesetzlich verpflichtet war: "Ein gesetzlicher Anspruch auf Pflege besteht auch unter Verwandten gerader Linie nicht. Ebenso wenig hat die Allgemeinheit oder die öffentliche Hand ein Recht darauf, dass Eltern von ihren Kindern kostenlos gepflegt werden. Sofern also Pflegeleistungen erbracht werden, die zeit- und kostenaufwändig sind sowie für den Pflegenden darüber hinaus durch Einschränkungen der be...