Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 231
Fallbeispiel 113: Der Verzicht auf das Wohnungsrecht/den Nießbrauch
Der Vater V übertrug sein Wohngrundstück vor zwölf Jahren auf seine Tochter T unter dem Vorbehalt eines lebenslanges Wohnungsrechts. Nach einem Schlaganfall und langer Pflege zu Hause kapituliert T und veranlasst die Heimaufnahme.
T fragt als Vorsorgebevollmächtigte/Betreuerin, ob und wenn ja, mit welchen Folgen der ansonsten mittellose V auf das Wohnungsrecht regulär verzichten kann, da V das Wohnungsrecht nicht mehr nutzen kann.
Rz. 232
In der Praxis stellt sich häufig die Frage: "Was wäre, wenn der Zuwendende seine vorbehaltenen Rechte nicht nur nicht mehr geltend macht, sondern wenn er ausdrücklich - z.B. auf sein Wohnungsrecht - verzichten würde?"
Für den Fall, dass ein Recht des Zuwendenden nicht mehr ausgeübt werden kann und auch keine ausdrücklichen Erlöschenstatbestände (z.B. Erlöschen des Wohnungsrechts bei Eintritt einer auflösenden Bedingung, Anspruch auf Aufhebung des Wohnungsrechts bei Eintritt einer bestimmten Bedingung etc.) vereinbart wurden, ist die Aufgabe des Nutzungsrechts durch den Berechtigten nach allgemeinen Regeln zu beurteilen.
Die Löschung eines Wohnungsrechts z.B. bedarf der Bewilligung des Berechtigten (§ 19 GBO) in der Form des § 29 GBO. Die Abgabe der Erklärung durch einen Vorsorgebevollmächtigten bedarf einer zumindest beglaubigten Vorsorgevollmacht, da § 29 GBO eine öffentliche Urkunde verlangt. Außerdem bedarf es einer Befreiung in der Vollmacht vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB), wenn der Bevollmächtigte gleichzeitig als Eigentümer und als Vertreter des begünstigten Wohnungsrechtsinhabers handelt. Dann ist die Frage: Was ist die Grundlage für die Aufgabe des Wohnungsrechts? Als Betreuerin bedarf die Tochter nach §§ 1896, 1908i, 1804 BGB der Genehmigung des Verzichts durch das Betreuungsgericht, falls es sich bei der Aufgabe des Wohnungsrechtes um eine Schenkung handelt.
Hinweis
Ab 1.1.2023 tritt neues Betreuungsrecht in Kraft! § 1854 Nr. 8 BGB n.F. regelt dann: Der Betreuer bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichtes zu einer Schenkung oder unentgeltlichen Zuwendung, es sei denn, diese ist nach den Lebensverhältnissen des Betreuten angemessen oder als Gelegenheitsgeschenk üblich.
Rz. 233
Eine Schenkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Hilfebedürftige der Löschung des Rechts nur mit Rücksicht auf ein ihm vom Begünstigten anderweitig eingeräumtes schuldrechtlichen Wohnungsrecht bewilligt hat.
Fraglich ist, wie es in den "üblichen" Fällen ist. Das dingliche Wohnungsrecht erlischt ohne Vereinbarung grundsätzlich nur dann, wenn seine Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd unmöglich wird. Das ist der Fall, wenn das Recht objektiv niemandem mehr einen Vorteil bietet. Es erlischt aber nicht generell dadurch, dass ein Berechtigter es subjektiv, z.B. wegen Heimunterbringung, nicht mehr ausüben kann. Ein automatischer Wegfall des Wohnungsrechts kommt somit nicht in Betracht.
Rz. 234
Der Verzicht auf ein Wohnungsrecht stellt nach Auffassung des BGH grundsätzlich auch dann eine Zuwendung aus dem Vermögen des Wohnungsberechtigten dar, wenn dieser im Zeitpunkt des Verzichts an der Ausübung des Rechts dauerhaft gehindert ist. Das gilt selbst dann, wenn das Hindernis auf Dauer besteht. Die Einigung über den ersatzlosen Wegfall eines Wohnungsrechts/einer Reallast begründet damit einen unentgeltlichen Vermögenstransfer.
Auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung hält eine Schenkung grundsätzlich für möglich. Dass im entschädigungslosen Verzicht auf ein Wohnungsrecht eine Schenkung liegen kann, bejahen auch der BFH und die sonstige zivilgerichtliche Rechtsprechung und Literatur.
Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Schenkung sich nicht auf § 528 BGB bezieht, sondern in einem anderen Kontext steht, z.B. eine Schenkung im Sinne von § 1804 BGB (ab 1.1.2023 § 1854 Nr. 8 BGB n.F.) in Rede steht. Danach ist es dem Betreuer – mit Ausnahme von Sittlichkeits- und Anstandsschenkungen - nicht erlaubt, aus dem Vermögen des Beschenkten Schenkungen vorzunehmen.
Rz. 235
Der BGH vertrat bei einer solchen Fallgestaltung die Auffassung, dass eine Schenkung zu verneinen sei, wenn eine Rechtsposition aufgegeben werde, die keinen Vermögenswert darstelle und deren Weggabe dem Aufgebenden keinen Nachteil zufüge. Es liege deshalb keine Schenkung i.S.v. § 1804 BGB vor, wenn der Betreuer auf ein Wohnungsrecht verzichten wolle, das der Betroffene nicht mehr nutzen könne, welches aber Kosten verursache. Bestehe in einem solchen Fall das Interesse an der Wiederaufnahme der Wohnungsnutzung endgültig nicht mehr, verliere das Wohnungsrecht seinen Nutzwert. Der Wohnungsberechtigte könne nicht mehr nutzen. Der Eigentümer dürfe nicht vermieten. Da das Wohnungsrecht auch durch Vermietung nicht fruchtbar gemacht werden könne, verliere es seinen Vermögenswert insgesamt. Der Verzicht auf ein wertlos gewordenes Wohnungsrecht erfülle nicht den Begriff einer Schenkung....