a) Minderjährigenhaftungsbeschränkung
Rz. 186
§ 1629a BGB sieht eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Kindes vor. Die Interessen von Gläubigern und des Rechtsverkehrs werden durch zwei Vermutungstatbestände gewahrt (§ 1629a Abs. 4 BGB) und durch ein außerordentliches Kündigungsrecht des Kindes, mit dem es seine Mitgliedschaft in einer Gesamthandsgemeinschaft (bspw. einer Erbengemeinschaft) bzw. Personengesellschaft beenden kann.
b) Haftungsbeschränkung, § 1629a Abs. 1 BGB
Rz. 187
Nach § 1629a Abs. 1 BGB hat das volljährig gewordene Kind die Möglichkeit, die Haftung für Verbindlichkeiten, die seine Eltern ihm gegenüber bei Ausübung der gesetzlichen Vertretung begründet haben, und für Verbindlichkeiten, die durch einen in der Zeit der Minderjährigkeit eingetretenen Erwerb von Todes wegen begründet wurden, auf den Bestand desjenigen Vermögens zu beschränken, das im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit vorhanden ist.
Rz. 188
Die Haftungsbeschränkung erfolgt in entsprechender Anwendung der §§ 1990, 1991 BGB (wohl als Rechtsfolgenverweisung) auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen. Die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit erfasst grundsätzlich alle Verbindlichkeiten des Minderjährigen. § 1629a Abs. 1 S. 1 BGB unterscheidet nicht danach, ob der Minderjährige die Mitgliedschaft in der Gesellschaft von Todes wegen erworben hat, die Eltern den Gesellschaftsvertrag selbst im Namen des Kindes abgeschlossen haben oder das Kind selbst mit Zustimmung der Eltern den Beitritt zu einer Gesellschaft erklärt hat.
c) Sonderkündigungsrecht des volljährig Gewordenen – die Idee des "Neustarts bei Null"
Rz. 189
Ist der Minderjährige Mitglied einer Erbengemeinschaft, Inhaber eines Handelsgeschäfts oder unbeschränkt haftender Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft, OHG oder KG, so wird die Anordnung der Haftungsbeschränkung nach § 1629a Abs. 1 BGB um das in § 723 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BGB ausdrücklich niedergelegte Recht ergänzt, die Position im Geschäftsleben mit Eintritt der Volljährigkeit endgültig aufzugeben, um auf diese Weise eine vollständige Haftungsentledigung zu erreichen. In § 723 BGB ist die Vollendung des 18. Lebensjahres als wichtiger Grund zur Kündigung der BGB-Gesellschaft festgelegt worden, wobei diese Kündigung innerhalb von drei Monaten erklärt werden muss, § 723 Abs. 1 S. 4 BGB. Über die Verweisungsnormen §§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB gilt dies auch für OHG und KG. Zumindest ist ein wichtiger Grund i.S.v. § 133 HGB anzunehmen.
d) Doppelte Vermutung in § 1629a Abs. 4 BGB
Rz. 190
Das Sonderkündigungsrecht steht im Zusammenhang mit der Beweislastverteilung, die in § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB aufgenommen wurde. Diese Vorschrift enthält zwei widerlegliche Vermutungen zugunsten der Gläubiger:
Rz. 191
(1) Verlangt der volljährig Gewordene nicht die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nach § 2042 Abs. 1 BGB, kündigt er eine Beteiligung an einer Personengesellschaft nach § 723 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht innerhalb von drei Monaten nach Erreichen der Volljährigkeit oder stellt er ein Handelsgewerbe nicht innerhalb dieses Zeitraums ein, so wird vermutet, dass die Verbindlichkeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres begründet wurde (S. 1) und damit nicht der Haftungsbeschränkung des Absatzes 1 unterliegt. Der Eintritt der Volljährigkeit wird als wichtiger Grund i.S.v. §§ 749 Abs. 2 S. 1, 2042 Abs. 2 BGB angesehen. Diese Vermutung führt zum Verlust der Haftungsbeschränkung.
Rz. 192
(2) Weiter wird unter den in (1) genannten Voraussetzungen vermutet, dass das gegenwärtige Vermögen bei Erreichen der Volljährigkeit vorhanden war (S. 2). Diese Vermutung kommt erst zum Tragen, wenn die erste Vermutung widerlegt ist. Selbst wenn bewiesen werden kann, dass eine konkrete Verbindlichkeit bereits vor Eintritt der Volljährigkeit entstanden ist, so wird vermutet, dass das jetzt vorhandene Vermögen bereits vor Volljährigkeit erworben wurde und damit das ganze Vermögen des volljährig Gewordenen die Haftungsmasse darstellt.
e) Hinweise für die Beratungspraxis
aa) Schutz des Minderjährigen
Rz. 193
Im Gesetzgebungsverfahren wurde bereits erkannt, dass es dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen bzw. dem volljährig Gewordenen selbst zu empfehlen ist, ein Inventar über das Vermögen des Minderjährigen zum Stichtag seiner Volljährigkeit zu errichten, um die Vermutungen des § 1629a Abs. 4 BGB widerlegen zu können. Für den Fall des Erwerbs von Todes wegen sieht das Gesetz in § 1640 BGB ohnehin eine Inventarerrichtungspflicht für die Eltern vor. Bei Erreichen der Volljährigkeit sind sie dem Kind nach § 1698 BGB zur Rechenschaft verpflichtet.
Rz. 194
Eine Inventarisierung des vorhandenen Vermögens ist noch aus einem anderen Grund empfehlenswert: In § 1629a BGB wird u.a. auf § 1991 BGB verwiesen. Dies hat zur Folge, dass der Volljährige nach §§ 1991 Abs. 1, 1978 Abs. 1 und 662 ff. BGB den Gläubigern gegenüber wie ein Beauftragter für die Verwaltung und Erhaltung des bei seiner Volljährigkeit vorhandenen Vermögens verantwortlich ist und nach § 666 BGB auch Rechnung zu legen hat.
bb) Schutz der Gläubiger
Rz. 195
Gläubiger können sich ...