1. Grundsatz und Ausnahme
Rz. 145
Nach dem Prinzip gesamthänderischer Bindung könnten Forderungen, die zum Nachlass gehören, grundsätzlich nur von allen Erben gemeinsam geltend gemacht und eingezogen werden. Dies wäre für die Praxis jedoch zu schwerfällig. Deshalb macht § 2039 Abs. 1 BGB eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Jeder Miterbe hat die Befugnis, eine Nachlassforderung allein geltend zu machen, muss aber Leistung an alle Miterben gemeinschaftlich verlangen (vgl. das Muster Rdn 154). Der einzelne Miterbe kann auch gegen den Widerspruch der übrigen Miterben seine Rechte geltend machen, weil es sich um ein Sonderrecht des einzelnen Miterben handelt und weil im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung jedes Erben nach § 2058 BGB nicht einzelne Erben verhindern können, dass Forderungen, die sich im Nachlass befinden, nicht auch sowohl für die Nachlassgläubiger als auch für alle Miterben realisiert werden.
Haben einzelne Miterben vorab Barbeträge aus dem Nachlass erlangt, so kann der weitere Miterbe nicht deren Hinterlegung zugunsten der Erbengemeinschaft beanspruchen, wenn feststeht, dass ein etwaiger Rückgewähranspruch durch den Auseinandersetzungsanspruch dieser Miterben gedeckt wäre.
Rz. 146
Aber die Vorschrift des § 2039 BGB gilt nur für Ansprüche i.S.v. § 194 BGB. Darunter fallen:
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Freistellungsanspruch; |
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Unterlassungsanspruch; |
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öffentlich-rechtliche Versorgungsansprüche; |
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Schadensersatzansprüche gegen beurkundenden Notar; |
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Ansprüche auf Rechnungslegung; |
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Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen einen Miterben; |
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auf Herausgabeansprüche wendet die Rspr. § 2039 BGB analog an; |
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Restitutionsansprüche nach dem VermG; |
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auch der Anspruch der Erbengemeinschaft auf Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB) fällt unter § 2039 BGB, so dass ihn ein Erbe allein für alle geltend machen kann; den dazu erforderlichen Antrag nach § 13 GBO kann ohnehin jeder Miterbe allein stellen (vgl. das Muster Rdn 155); |
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Auskunftsanspruch gegen Erbschaftsbesitzer nach § 2027 BGB; |
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Auskunftsanspruch gegen Hausgenossen nach § 2028 BGB; |
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Auskunftsanspruch gegen Geschäftsführer nach §§ 681, 666 BGB; |
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Herausgabeanspruch gegen Geschäftsführer nach § 667 BGB. |
Rz. 147
Ist eine Darlehensforderung im Nachlass, die zur Fälligkeit der Kündigung bedarf, so fällt die Ausübung des Kündigungsrechts nicht unter § 2039 BGB, vielmehr ist sie nach der Rechtsprechung eine Verfügung, die dem Einstimmigkeitserfordernis des § 2040 BGB unterliegt. Die neuere Rechtsprechung macht jedoch bei der Kündigung eines Darlehens eine Ausnahme vom Einstimmigkeitsprinzip. So lässt das OLG Frankfurt unter Bezugnahme auf den BGH für die Kündigung eines Darlehens einen Mehrheitsbeschluss genügen als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB. Dem ist nunmehr auch das OLG Brandenburg für die Kündigung eines Bankvertrages gefolgt.
Rz. 148
Vererblichkeit des Abfindungsanspruchs aus einem beendeten Arbeitsverhältnis: Ohne ausdrückliche Regelung in der Beendigungsvereinbarung ist im Einzelfall regelmäßig streitig, ob der Abfindungsanspruch auf die Erben übergeht, wenn der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses stirbt.
2. Befugnisse des einzelnen Miterben
a) Außergerichtlich
Rz. 149
Der aufgrund von § 2039 BGB handelnde Miterbe kann Verzug herbeiführen durch Mahnung.
b) Prozessführungsbefugnis
Rz. 150
Der Miterbe kann gem. § 2039 BGB auf Leistung oder Feststellung klagen, er kann die Zwangsvollstreckung betreiben, er kann Prozesse, die durch den Tod des Erblassers unterbrochen wurden, wieder aufnehmen.
Jeder Miterbe ist auch gegen den Willen der übrigen Miterben berechtigt, in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft – und nicht etwa in Vertretung der übrigen Miterben – zum Nachlass gehörende Ansprüche ohne deren Mitwirkung auch klageweise geltend zu machen. Zur Durchsetzung des Anspruchs ist jeder Miterbe befugt, alle geeigneten außergerichtlichen und gerichtlichen Schritte zu ergreifen, auch gegen den Willen der übrigen Miterben.
§ 242 BGB lässt ausnahmsweise einen Antrag auf Leistung an einen Miterben zu, wenn die eigentlich erforderliche Leistung an alle Miterben purer Formalismus wäre. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Erbringung der Leistung an den klagenden M...