Rz. 46

Hilfeleistungen nach den §§ 27 ff. SGB VIII setzen eine grundsätzliche Entscheidung des Berechtigten voraus, ob er diese Hilfen überhaupt in Anspruch nehmen möchte, da das – jederzeit widerrufliche[158] – Einverständnis des Leistungsberechtigten essentielle Voraussetzung jeder Hilfeleistung ist. Eine autonome Entscheidung, als Basis der Beteiligungsfähigkeit,[159] erfordert eine umfassende Information, die im Rahmen der nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB VIII statuierten Beratungs- und Hinweispflicht erlangt werden soll.[160] Danach ist das Jugendamt gehalten, sowohl dem Personensorgeberechtigten als auch dem Minderjährigen umfassend darzulegen, welche Hilfearten grundsätzlich in Betracht kommen und wie diese im Einzelnen erbracht werden. Neben der Darstellung zum Ablauf des Hilfeplanverfahrens selbst, ist den Personensorgeberechtigten zu erläutern, welche Auswirkungen die jeweiligen Hilfen – mit Blick auf die §§ 1688, 1630 Abs. 3 BGB – auf die Personensorge und die Entwicklung des Minderjährigen haben.[161] Ihnen sind zudem die möglichen Folgen einer Vollzeitpflege, insbesondere das Risiko des Erlasses einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB und die grundlegenden allgemeinen Aspekte des Trennungsrisikos[162] sowie den Möglichkeiten der Vermeidung dieser Probleme zu erläutern. Darzulegen ist auch, ob gegebenenfalls ein freier Träger ebenfalls Hilfeleistungen anbietet. Diese Hinweispflicht besteht aber nur, wenn im Bereich der konkreten Hilfe der freie Träger besser geeignet ist.[163] Gegebenenfalls bedarf es auch des Hinweises auf ausländerrechtliche Bezüge (z.B. § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG).[164] Sind die Beteiligten anwaltlich vertreten, so obliegt dem Jugendamt die Entscheidung darüber, ob dem bevollmächtigten Anwalt die Teilnahme an Hilfeplangesprächen zu gestatten ist.[165]

 

Rz. 47

Die Einbeziehung nicht (mehr) sorgeberechtigter Eltern(teile), insbesondere nach einem Sorgerechtsentzug, in die zu führenden Gespräche, ist in § 36 SGB VIII nicht geregelt. Aus diesseitiger Sicht ist allerdings der in der Literatur[166] vertretenen Auffassung zuzustimmen, dass dies in bestimmten Fällen geboten sein kann, etwa zur Stützung der Eltern-Kind-Beziehung oder um bei den Eltern bestehende Ängste – etwa zum Wohlergehen des Kindes – abzubauen.

 

Rz. 48

Ob es zur Inanspruchnahme der Hilfeleistung eines ausdrücklichen Antrages bedarf, ist streitig. Die herrschende Meinung bejaht dies.[167] Unabhängig von einer Antragstellung ist das Jugendamt in jedem Fall bei Kenntniserlangung von Umständen, die Hilfen zur Erziehung notwendig machen, nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 SGB X zur Verfahrenseinleitung verpflichtet, einschließlich der Sachverhaltsermittlung gemäß § 20 Abs. 1 SGB X. Dies folgt, spätestens im Grenzbereich der Kindeswohlgefährdung, aus dem staatlichen Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen zwingend indizierte Hilfeleistungen von den Eltern definitiv abgelehnt werden. In diesem Fall kann das Familiengericht die verweigerte Einwilligung ersetzen oder aber auch, bei in Rede stehenden langfristigen Hilfeleistungen, die Personensorge teilweise entziehen. Ist der Grenzbereich der Kindeswohlgefährdung noch nicht erreicht, so muss durch die zuständige Fachkraft entschieden werden, ob damit der Hilfeprozess beendet werden muss[168] oder aber durch weitere Beratung noch eine Akzeptanz durch die Eltern zu erreichen ist. Kann lediglich zwischen den personensorgeberechtigten Elternteilen kein Einvernehmen darüber erzielt werden, ob Hilfeleistungen in Anspruch zu nehmen sind, so bedarf es einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1628 BGB (vgl. hierzu § 1 Rdn 116 ff.).

 

Rz. 49

Personensorgeberechtigt im Sinn des § 36 SGB VIII können aber auch der Vormund oder Pfleger eines Minderjährigen sein, wenn der ihnen übertragene Aufgabenkreis das Recht der Beantragung von Hilfe zur Erziehung vorsieht. Wurde eine Amtsvormundschaft oder -pflegschaft eingerichtet, so bedarf es gegebenenfalls eines Ergänzungspflegers, wenn zwischen dem sog. Realpfleger oder Realvormund und dessen Dienstvorgesetztem kein Einvernehmen hinsichtlich der jeweiligen Hilfsmaßnahme erzielt werden kann.[169] Aber auch der Minderjährige selbst kann nach vollendetem 15. Lebensjahr die Einleitung der Hilfsmaßnahme initiieren mit Blick auf seine ab diesem Alter geltende sozialrechtliche Handlungsfähigkeit gemäß § 11 SGB X. Wird seitens des Minderjährigen der Wunsch auf eine eigene Beratung – in Abwesenheit der Eltern – geltend gemacht, so ist diesem Wunsch zu folgen, wenn dadurch der Beratungszweck nicht vereitelt wird.[170]

 

Rz. 50

Steht eine Hilfe in Rede, die außerhalb der Herkunftsfamilie zu erbringen ist, so sind sowohl die Personensorgeberechtigten als auch der Minderjährige an der Entscheidung zur Auswahl der Einrichtung zu beteiligen. Das in § 36 Abs. 1 S. 4 SGB VIII ausdrücklich statuierte Wunsch- und Wahlrecht hat in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung, weswegen Eltern und Minderjährige auf diesen Rechtsanspruch ausdr...

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