Rz. 16

In dem vorab dargestellten Spannungsfeld, das leider gerade auch im Verhältnis zwischen Anwalt und Jugendamt häufig von einem latenten Misstrauen bestimmt wird, gestaltet sich die praktische interdisziplinäre Zusammenarbeit.[77] Sie ist auf Seiten aller Beteiligten allein darauf auszurichten, im Interesse der durch das KJHG zu schützenden Kinder und Jugendlichen zu agieren. So sieht der in §§ 1666, 1666 a BGB konkretisierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorrangig die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen nach den §§ 11 bis 40 SGB VIII vor, wenn dadurch weitergehende Eingriffe in die Familie und vor allem die Trennung eines Kindes von seiner Familie verhindert werden kann.[78] Dies setzt aber auch ein ausreichendes Problembewusstsein für die von den jeweiligen Berufszweigen in konkreten Situationen zu treffenden Entscheidungen voraus. Stets muss das Bewusstsein dafür geschärft bleiben, dass zwischen dem Recht und der Sozialen Arbeit eine Wechselwirkung besteht. Das Recht gibt der Sozialen Arbeit Rahmenbedingungen vor, die der Sozialen Arbeit teilweise wiederum im Wege unbestimmter Rechtsbegriffe Beurteilungsspielräume eröffnen oder auch Ermessen einräumen. Hier das richtige Gleichgewicht zu finden, bleibt eine Herausforderung, der man sich nur stellen kann, wenn man sich der anderen Disziplin öffnet.

[77] Dittmann, Praxis und Kooperation der an familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Professionen, ZKJ 2014, 180.
[78] OLG Koblenz FamRZ 2012, 1955.

I. Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16–21 SGB VIII)

1. Unterstützung der Erziehungs- und Beziehungskompetenzen

 

Rz. 17

Der zweite Abschnitt des SGB VIII normiert gesetzliche Pflichtaufgaben. Ohne dass der öffentlichen Jugendhilfe ein Ermessenspielraum eingeräumt wäre, besteht für sie gemäß § 79 SGB VIII die Verpflichtung, die im Einzelnen vorgesehenen Leistungen bereitzuhalten. Soweit dabei auch rechtliche Beratungen angeboten werden, ist dies den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ebenso wie den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe (§ 75 SGB VIII) nach § 2 Abs. 1, § 8 Abs. 1,2, § 5 RDG gestattet.[79]

[79] Siehe zum Verhältnis freier und öffentlicher Träger auch Struck, ZKJ 2015, 381.

a) Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 SGB VIII)

 

Rz. 18

Die in § 16 SGB VIII vorgesehene allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie[80] zielt auf die Vermittlung und Stärkung erzieherischer Kompetenzen.[81] Ohne Eingriff in das Erziehungsrecht[82] als solches, sollen Bedingungen geschaffen werden, die eine bestmögliche Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung gewährleisten,[83] wobei korrespondierend mit § 1631 Abs. 2 BGB durch den nachträglich eingefügten Satz 3 ein besonderes Augenmerk auf die Befähigung zur gewaltfreien Lösung familiärer Konfliktsituationen gelenkt wird.[84] Die angebotenen Leistungen richten sich an junge Menschen im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII, an Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII. Leistungsadressat sind damit auch Stief- und Pflegeeltern sowie Lebenspartner.[85] Im Jahr 2014 wurde für knapp mehr als eine halbe Million Kinder, Jugendliche und junge Erwachsen eine erzieherische Hilfe begonnen. Dies bedeutet gegenüber dem Jahr 2013 eine Steigerung um 2,3 %.[86]

 

Rz. 19

Insbesondere durch Maßnahmen der Familienbildung, der Familienberatung und Angebote der Familienfreizeit sollen die gesetzgeberischen Ziele umgesetzt werden. Die Familienbildung baut wesentlich auf der Elternarbeit in Betreuungseinrichtungen sowie dem Erfahrungsaustausch (z.B. durch Elternbriefe oder Elterninitiativen) auf. Ob hiervon auch der Einsatz von Familienhebammen unter dem Aspekt der Gesundheitsbildung rechtlich verankert werden kann, ist umstritten.[87] Demgegenüber erstreckt sich die – in Abgrenzung zu § 28 SGB VIII – präventiv[88] angelegte Familienberatung auf alle Aspekte familiärer Problembereiche, wobei die Träger hinsichtlich der Auswahl der in Betracht kommenden Hilfsmöglichkeiten in ihrer Entscheidung frei sind.[89] Insbesondere in bereits belasteten Familiensituationen – etwa im Zuge von Trennung oder Scheidung – kommen letztlich Angebote der Familienfreizeit und -erholung in Betracht, die gegebenenfalls auch mit den Möglichkeiten der Familienbildung gekoppelt werden können. Im Zuge des BKiSchG[90] wurde zudem die in § 16 Abs. 3 SGB VIII vorgesehene Beratung werdender Eltern eingeführt Dieser Beratungsanspruch und ebenso die sonstigen Leistungen nach § 16 SGB VIII beinhalten jedoch keinen einklagbaren subjektiven Rechtsanspruch. Die Leistungen stehen in inhaltlichem Zusammenhang mit staatlichen Programmen, die eine Verbesserung des aktiven Kinderschutzes anstreben.[91] Die nähere Konkretisierung der in § 16 SGB VIII vorgesehenen Leistungsangebote unterliegt dem jeweiligen Landesrecht. Werden Leistungen im Sinne des § 16 SGB VIII in Anspruch genommen, so richtet sich die Kostenbeteiligung nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII, soweit nicht die Voraussetzungen einer Kostenbefreiung nach Abs. 2 vorliegen. Ohne Kostenbelastung bleibt allein die Inanspruchnahme einer Familienberatung.

[80] Wabnitz, ZKJ 2013, 108 (Teil 2, S. 157; Teil 3, S. 199; Teil 4, S. 281;Teil 5, S. 336) zum ...

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