Rz. 66

Wird eine Hilfe zur Erziehung gewährt, so muss sich die jeweilige Leistung stringent an dem konkreten Sachverhalt orientieren und soweit wie möglich auch das soziale Umfeld einbeziehen. Neben einem Hilfeplan bedarf es einer sozialpädagogischen Diagnose, so dass der erzieherische Bedarf individuell ermittelt werden kann. Soweit der Gesetzestext auf die Möglichkeiten der §§ 28 bis 35 SGB VIII verweist, ist dies keine abschließende Darstellung der potentiellen Hilfeleistungen. Neben der parallelen Anwendung verschiedener Hilfen[223] kommt ebenso ein Wechsel der Hilfsmöglichkeiten in Betracht, wenn sichergestellt ist, dass diese Vorgehensweise die für den spezifischen Einzelfall maßgerechte Lösung darstellt.[224] Auch wenn es keine Rangfolge zwischen den jeweils in Betracht kommenden Hilfsmöglichkeiten gibt, versteht sich von selbst, dass eine intensiver eingreifende Hilfe erst in Betracht kommt, wenn eine weniger einschneidende Maßnahme nicht ausreichend ist, um den erzieherischen Bedarf zu decken.[225] Zu beachten ist in ­diesem Zusammenhang allerdings das dem Anspruchsberechtigten zustehende Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 SGB VIII, das sich in diesem Fall allerdings nur auf die Wahl des Leistungsträgers und die konkrete Ausführung der Hilfeleistung erstreckt.[226]

 

Rz. 67

Nach § 27 Abs. 2 S. 3 SGB VIII kann eine Hilfe auch im Ausland erbracht werden,[227] wenn dies nach Maßgabe eines Hilfeplans zur Erreichung des Hilfeziels im Einzelfall erforderlich ist. In Ausgestaltung des Hilfeplans bedarf es dann gegebenenfalls der Stellungnahme einer der in § 35a Abs. 1a S. 1 SGB VIII genannten Personen, d.h. etwa eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, um eine seelische Störung mit Krankheitswert bei dem betroffenen Minderjährigen auszuschließen. In jedem Fall muss sichergestellt werden, dass die Maßnahmen im Ausland allein von ausreichend qualifizierten Fachkräften im Sinne des § 72 Abs. 1 SGB VIII begleitet werden, wobei prinzipiell auch nur anerkannte Träger der Jugendhilfe oder Einrichtungen, die der Aufsicht der zuständigen Landesbehörden unterliegen, diese Maßnahmen durchführen sollen.[228]

 

Rz. 68

Nach § 27 Abs. 3 SGB VIII umfasst die Hilfeleistung primär pädagogische und damit verbundene therapeutische Leistungen. Unter der Vorgabe, dass eine Berufsausbildung essentieller Bestandteil einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit ist, ist im Bedarfsfall auch eine Ausbildungs- oder Beschäftigungsmaßnahme gemäß § 13 Abs. 2 SGB VIII im Rahmen der Hilfeleistung anzubieten, wobei die Leistungen nach dem SGB VIII jenen des SGB II vorgehen, soweit nicht Leistungen nach §§ 3 Abs. 2 und 14 bis 16 SGB II in Rede stehen.

 

Rz. 69

Erst nachträglich eingefügt wurde die nach § 27 Abs. 4 SGB VIII vorgesehene Hilfe für minderjährige Mütter, um zu verhindern, dass für sie bedingt durch die Geburt des Kindes nur die Inanspruchnahme von Leistungen nach § 19 SGB VIII in Betracht kommt.

 

Rz. 70

Werden im Rahmen der Hilfe zur Erziehung stationäre oder teilstationäre Leistungen außerhalb des Elternhauses wahrgenommen, so kommt eine Heranziehung sowohl des Minderjährigen als auch seiner Eltern zu den Kosten gem. § 91 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII in Betracht. Gleichzeitig ist zu beachten, dass der Träger der Jugendhilfe die Kosten der Hilfe nur dann trägt, wenn die jeweilige Hilfsmaßnahme auf seiner Entscheidung entsprechend den Vorgaben des Hilfeplans beruht.[229]

[223] OVG Rheinland-Pfalz FEVS 56, 420.
[225] Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 27 Rn 20; zu den Besonderheiten bei einer freiheitsentziehenden Unterbringung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vgl. Hoffmann, FamRZ 2013, 1346.
[226] Wiesner, SGB VIII, § 27 Rn 14 m.w.N.
[227] Siehe dazu auch Eschelbach/Rölke, Vollzeitpflege im Ausland – Aufgaben der deutschen Jugendämter, JAmt 2014, 494.
[228] Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, § 27 Rn 33.
[229] Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar, § 27 Rn 45.

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