I. Der Schutz des Erbenpflichtteils – Gefahren aus §§ 2305, 2306, 1371 BGB

1. Ausgangssituation

 

Rz. 1

Das Pflichtteilsrecht setzt der Testierfreiheit Grenzen. Daher ist bei jeder Gestaltung einer Verfügung von Todes wegen an die Einflüsse des Pflichtteilsrechts zu denken und entsprechende "Störfallvorsorge" zu betreiben. Dabei können Pflichtteilsansprüche nicht nur zu einer erheblichen Liquiditätsbelastung für den Erben führen. Selbst wenn der Pflichtteilsberechtigte zum Erben eingesetzt oder ihm ein Vermächtnis zugewandt wird, drohen Gefahren für den Bestand der Verfügung von Todes wegen, wenn der Berechtigte dadurch in seiner erbrechtlich garantierten Mindestbeteiligung beeinträchtigt wird. Im Einzelnen ist bezüglich des Spannungsfeldes zwischen letztwilliger Zuwendung und gesetzlichem Pflichtteilsschutz nach den §§ 2305 bis 2307 BGB wie folgt zu unterscheiden:[1]

[1] Vgl. dazu etwa Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, 2. Kap. Rn 68 ff.; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 11 ff.

2. Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten zum unbeschränkten und unbeschwerten Erben

 

Rz. 2

Ist der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil größer oder gleich seiner Pflichtteilsquote, so besteht kein Pflichtteilsanspruch. Durch eine Ausschlagung des zugewandten Erbteils verliert er diesen, erlangt aber keinen Pflichtteil; eine Ausnahme gilt nur für den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner,[2] wenn im Erbfall Zugewinngemeinschaft bestand, denn dieser erhält trotz der Ausschlagung seinen (sog. kleinen) Pflichtteil und den rechnerischen Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 3 BGB, § 6 S. 2 LPartG).

 

Rz. 3

Wird dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil unter seiner Pflichtteilsquote zugewandt, so hat er in Höhe der Differenz einen Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB), auf den ein etwa daneben zugewandtes (Voraus-)Vermächtnis angerechnet wird (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Ausschlagung des Erbteils führt zu keinem zusätzlichen Pflichtteil, lässt aber den Pflichtteilsrestanspruch bestehen; die Ausschlagung des Vermächtnisses führt zum vollen Pflichtteilsanspruch (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB).

[2] Aufgrund Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts (BGBl I 2017, 2787) können seit dem 1.10.2017 keine neuen Lebenspartnerschaften mehr begründet werden. Nach § 20a LPartG können die bisherigen Lebenspartner die Umwandlung ihrer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe beantragen.

3. Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten zum beschränkten oder beschwerten Erben

 

Rz. 4

Wird ein Pflichtteilsberechtigter zwar zum Erben eingesetzt, aber mit den in § 2306 Abs. 1 BGB genannten Anordnungen beschränkt oder beschwert, so sind im Zusammenhang mit dem Pflichtteil Besonderheiten zu beachten. Dies betrifft die Fälle, in denen der pflichtteilsberechtigte Erben durch die Einsetzung eines Nacherben, durch Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder durch eine Teilungsanordnung beschränkt oder mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist. Gleiches gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst zum Nacherben eingesetzt wird (§ 2306 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 5

Die seit 1.1.2010 geltende Fassung des § 2306 Abs. 1 BGB ist dadurch gekennzeichnet, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe, der mit einer der genannten Beschränkungen oder Beschwerungen belastet oder zum Nacherben eingesetzt ist, sich hiergegen nur durch eine Ausschlagung der Erbschaft zur Wehr setzen kann, dafür aber immer seinen Pflichtteil erlangt. Nimmt er dagegen den belasteten Erbteil an, so bleiben die Beschwerungen und Beschränkungen bestehen und sind von ihm bis zum bitteren Ende zu erfüllen, mag er dadurch auch wertmäßig seinen gesamten Pflichtteil verlieren.

 

Rz. 6

Besondere Gefahren bestanden dagegen in der bis zum 31.12.2009 geltenden Fassung des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil kleiner oder gleich der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils (= Pflichtteilsquote) zugewandt wurde. Denn in diesem Fall fielen die genannten Beschränkungen und Beschwerungen automatisch kraft Gesetzes weg. Daneben bestand in Höhe der Differenz zwischen dem Erb- und Pflichtteil ein Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB).[3] Diese frühere Differenzierung zwischen pflichtteilsunter- und pflichtteilsüberschreitender Zuwendung wurde zwar durch die Erbrechtsreform beseitigt. Dennoch besteht immer noch die Notwendigkeit, den pflichtteilsberechtigten Erben mit einem ausreichend großen Erbteil zu dotieren: Denn wenn der zugewandte Erbteil unterhalb der Hälfte des gesetzlichen Erbteils liegt, entsteht für den pflichtteilsberechtigten Erben ein Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB). Dieser unterliegt dann aber dem freien Zugriff des Pflichtteilsberechtigten oder seiner Gläubiger, während dies oftmals durch die Anordnungen i.S.v. § 2306 Abs. 1 BGB nach dem Erblasserwillen ausgeschlossen sein sollte. Paradebeispiel ist das Behindertentestament, bei dem ansonsten die Überleitung des Pflichtteilsrestanspruchs auf den Sozialhilfeträger nach § 93 SGB XII droht.[4]

[3] Zu beachten war dabei auch, dass zur Bestimmung der Wertgrenze nicht einfach auf die Erbquoten i.S.d. §§ 1924 ff. BGB abgestellt werden durfte, sondern unter der Geltung der – allerdings umstrittenen – "Werttheorie" auc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?