Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 138
Der Betriebsrat kann einer ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn einer der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründe vorliegt. Der Widerspruch muss innerhalb einer Woche als Widerspruch erkennbar schriftlich beim Arbeitgeber erhoben werden. Dabei umfasst die Schriftform auch die Angabe der Widerspruchsgründe. Eine Bezugnahme auf einen vorangegangenen mündlichen Widerspruch ist unwirksam. Die Begründung des Widerspruchs darf sich nicht auf die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken. Es liegt dann kein ordnungsgemäßer wirksamer Widerspruch vor. Der Betriebsrat hat in der Begründung unter Angabe von Fakten darzulegen, warum die Voraussetzungen der gesetzlichen Widerspruchsgründe im konkreten Fall vorliegen.
Rz. 139
Widerspricht der Betriebsrat ordnungsgemäß, dann entsteht unter den weiteren Voraussetzungen von § 102 Abs. 5 BetrVG für den Arbeitnehmer ein gesetzlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Hat der Betriebsrat aus den in § 102 Abs. 3 Nr. 2–5 BetrVG genannten Gründen widersprochen, dann liegt ein absoluter Sozialwidrigkeitsgrund gem. § 1 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 und S. 3 KSchG vor, wenn der behauptete Widerspruchsgrund tatsächlich gegeben ist.
Rz. 140
Der Betriebsrat ist in seiner Entscheidung, ob er widersprechen will, frei. Er ist nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG zu erheben. Unterbleibt ein Widerspruch des Betriebsrats, dann besteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch zugunsten des Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 BetrVG. Die Nichterhebung des Widerspruchs stellt auch keine Pflichtverletzung i.S.v. § 23 Abs. 1 BetrVG dar. Dem Arbeitnehmer steht gegenüber dem Betriebsrat kein Anspruch auf Erhebung des Widerspruchs zu. Demgemäß hat der Arbeitnehmer auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Betriebsrat für den Fall, dass es der Betriebsrat trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 BetrVG unterlässt, den Widerspruch zu erheben.
1. Frist
Rz. 141
Der Betriebsrat muss innerhalb einer Woche widersprechen gem. § 102 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 1 BetrVG. Die Frist beginnt, wenn dem Betriebsratsvorsitzenden oder einem anderen vertretungsberechtigten Mitglied des Betriebsrats die Erklärung des Arbeitgebers über die Kündigungsabsicht zugegangen ist. Für die Fristberechnung gelten die allgemeinen Vorschriften (vgl. §§ 187 ff. BGB). Die Frist endet mit Ablauf ihres letzten Tags um 24.00 Uhr. Der Betriebsschluss ist insoweit nicht entscheidend. Arbeitgeber und Betriebsrat können die Anhörungsfrist einvernehmlich verlängern. Einen Anspruch auf Verlängerung hat der Betriebsrat nicht. Ebenso ist es möglich, dass die Betriebsparteien eine Verkürzung vereinbaren, da der Betriebsrat auch ohne Ausschöpfung der Frist berechtigt ist, eine verfahrensabschließende Erklärung abzugeben.
2. Form
Rz. 142
§ 102 Abs. 3 BetrVG verweist hinsichtlich der Frist auf § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Nach einhelliger Auffassung gilt diese Verweisung ebenfalls für das Erfordernis der Schriftform, denn wenn bereits für die Äußerung jedweder Bedenken Schriftform erforderlich ist, muss dies erst recht für den "rechtlich gravierenderen" Widerspruch des Betriebsrats gelten. Dies bedeutet, dass der Widerspruch nach § 102 Abs. 3 i.V.m. § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG dem Arbeitgeber gegenüber schriftlich zu erklären ist. Der Betriebsratsvorsitzende oder ein entsprechend bevollmächtigtes Mitglied bzw. in Vertretungsfällen dessen Stellvertreter muss die Erklärung also eigenhändig unterzeichnen (vgl. § 126 BGB). Nach umstrittener Auffassung soll zur Wahrung der Schriftform i.S.d. § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG auch eine Erklärung per Telefax ausreichen. Das BAG hat im Zusammenhang mit der Erklärung der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG entschieden, dass dort die Erklärung per Textform gem. § 126b BGB/Telefax ausreichend ist. Allerdings ist fraglich, ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann, nachdem mit dem Betriebsrätemodernierungsgesetz 2021 die Text- und die elektronische Form Eingang in einige Vorschriften des BetrVG gefunden haben (§§ 34, 76 Abs. 3 BetrVG), es jedoch in § 99 und § 102 BetrVG bei der Schriftform geblieben ist.
Rz. 143
Die Stellungnahme des Betriebsrats sollte auch eindeutig als Widerspruch gekennzeichnet werden, um zu vermeiden, dass sie entweder vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer lediglich als "Äußerung von Bedenken" gewertet wird. Im Zusammenhang mit der Beschlussfassung durch den Betriebsrat ist zu beachten, dass Voraussetzung für die Wirksamkeit des Widerspruchs die Ordnungsgemäßheit der Beschlussfassung ist. Der Grundsatz, dass Fehler des Betriebsrats während des Anhörungsverfahrens die Kündigung nicht unwirksam machen, beruht auf entsprechenden Vertrauensschutzerwägungen zugunsten des Arbeitgebers hinsichtlich des Abschlusses des Anhörungsverfahrens. Liegt (objektiv) kein ordnungsgemäßer Betriebsratsbe...