Inga Leopold, Dr. iur. Jürgen Peter
Rz. 170
Ist das Anhörungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Sind dem Betriebsrat bestimmte Gründe nicht oder nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden, führt dies unter der Voraussetzung, dass sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess hierauf beruft, zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der nicht bzw. nicht ordnungsgemäß mitgeteilten Gründe. Die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG führt nach h.M. weiter dazu, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess keinen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG stellen kann.
1. Verstoß gegen BetrVG
Rz. 171
Unterlässt der Arbeitgeber in Kenntnis des Beteiligungsrechts des Betriebsrats bewusst die Anhörung im Zusammenhang mit beabsichtigten Kündigungen, dann stellt dies einen betriebsverfassungsrechtlichen Verstoß dar, an den sich unter den weiteren Voraussetzungen des § 23 BetrVG entsprechende betriebsverfassungsrechtliche Sanktionen anknüpfen können. Auch kommt dann, wenn der betriebsverfassungsrechtliche Verstoß im Hinblick auf konkret bevorstehende Kündigungen erkennbar ist, ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber in Betracht, weil der Arbeitgeber bei beabsichtigter Nichtbeteiligung den betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des Betriebsrats auf Mitwirkung bei Kündigungen verletzt.
Rz. 172
Der Betriebsrat ist allerdings nicht berechtigt, ohne weiteren betriebsverfassungsrechtlichen Anlass (konkret bevorstehende rechtsunwirksame Kündigungen) die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen. Hierzu fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. Die Unwirksamkeitsrechtsfolge der Kündigung, also den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, geltend zu machen, ist Angelegenheit des Arbeitnehmers, nicht des Betriebsrats.
2. Unwirksamkeit der Kündigung an sich
Rz. 173
Hat der Arbeitgeber es unterlassen, den Betriebsrat anzuhören, oder hat er die Kündigung ausgesprochen, bevor das Anhörungsverfahren abgeschlossen war, ist die Kündigung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen unwirksam (vgl. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Will der Arbeitnehmer sich auf die Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG berufen, dann muss er nach § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim ArbG auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Unterlässt der Arbeitnehmer dies, dann gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Dem Arbeitnehmer ist es ab diesem Zeitraum verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf die betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat und dabei andere Unwirksamkeitsgründe (z.B. Gründe, die die Kündigung sozial ungerechtfertigt machen) vorgetragen hat. Dann kann er sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der I. Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG nicht geltend gemachte Gründe (hier also: § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG) berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer dies trotz eines Hinweises des ArbG nach § 6 S. 2 KSchG, ist die Berufung des Arbeitnehmers auf den Unwirksamkeitsgrund nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG endgültig nicht (mehr) möglich.
Rz. 174
Nimmt man an, dass der Arbeitnehmer sich innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG oder – nach § 6 KSchG – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung I. Instanz prozessual auf die Unwirksamkeit berufen will, ist es hierfür erforderlich, dass der Arbeitnehmer sich im Kündigungsschutzprozess zur Frage der Betriebsratsanhörung ausdrücklich äußert. Tut er das nicht, hat der Arbeitgeber keine Veranlassung, seinerseits zu diesem Themenkreis Stellung zu nehmen. Eine Prüfung von Amts wegen findet nicht statt. Will der Arbeitnehmer also die Unwirksamkeit rügen, dann hat er substantiiert zur Frage der Betriebsratsanhörung vorzutragen. Insoweit genügt es zunächst, wenn der Arbeitnehmer nähere Umstände nicht kennt, dass er ohne nähere Substantiierung behauptet, dass ein Betriebsrat besteht und der Betriebsrat nicht oder nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Hat sich der Arbeitgeber bereits geäußert, etwa durch den simplen Satz: "Der Betriebsrat wurde angehört", genügt für den Arbeitnehmer, wenn er nähere Umstände nicht kennt, insoweit das Bestreiten mit Nichtwissen.
Rz. 175
Sind dem Arbeitnehmer allerdings nähere Umstände der Betriebsratsanhörung bekannt, etwa weil der Betriebsrat den Arbeitnehmer informiert hat oder der Arbeitgeber sein Anhörungsschreiben und die Stellungnahme des Betriebsrats dem Arbeitnehmer übermittelt hat, dann ist der Arbeitnehmer prozessual verpflichtet, seinen Kenntnisstand substantiiert darzulegen. In diesen Fällen hat der Arbeitgeber nun wiederum seinerseits in Abhängigkeit von dem...