Rz. 211

Der Nachlassverwalter hat die Gesamtheit der Nachlassgläubiger zu befriedigen. Einzelne Nachlassverbindlichkeiten darf er nur erfüllen, wenn den Umständen nach anzunehmen ist, dass der Nachlass für alle Nachlassgläubiger ausreichend ist. Vor einer Zahlung an Nachlassgläubiger muss der Nachlassverwalter sorgfältig prüfen, einerseits welche Nachlassverbindlichkeiten vorhanden sind und noch entstehen können sowie andererseits, welche Aktiva zum Nachlass gehören und welchen Erlös er aus deren Verwertung erlangen wird. Ohne dieses Vorgehen darf er nicht von der Zulänglichkeit des Nachlasses ausgehen. Die Darlegungslast und Beweislast für diejenigen Umstände, die dazu geführt haben sollen, dass Zulänglichkeit angenommen werden durfte, trägt der Nachlassverwalter. Hat der Nachlassverwalter unbefugt Nachlassverbindlichkeiten erfüllt, so bemisst sich der Schaden der übrigen Nachlassgläubiger nach dem Ergebnis des Nachlassverfahrens.[137]

 

Rz. 212

Wie im Gesetz an mehreren Stellen zum Ausdruck kommt (§ 1975 BGB, § 780 Abs. 2 ZPO), ist die Nachlassverwaltung ein Sonderfall der Nachlasspflegschaft. Infolgedessen haftet der Nachlasspfleger, wenn er seine Pflichten verletzt, dem Erben gem. §§ 1833 Abs. 1, 1915 Abs. 1 BGB für den daraus entstehenden Schaden. Darüber hinaus ist der Nachlassverwalter gem. §§ 1985 Abs. 2, 1980 Abs. 1 S. 2 BGB aber auch den Nachlassgläubigern verantwortlich; entsprechende Schadensersatzansprüche der Gläubiger gelten gem. §§ 1978 Abs. 2, 1985 Abs. 2 S. 2 BGB als zum Nachlass gehörend und sind daher, solange Nachlassverwaltung besteht, von dem Nachlassverwalter und während der Nachlassinsolvenz von dem Insolvenzverwalter geltend zu machen.

 

Rz. 213

Wie § 1979 BGB i.V.m. § 1985 Abs. 2 S. 2 BGB zeigt, sind dem Verwalter Zahlungen an Nachlassgläubiger aus dem Nachlass nur dann gestattet, wenn er "den Umständen nach annehmen" darf, dass der Nachlass zur Berichtigung aller Nachlassverbindlichkeiten ausreicht. Ihn trifft daher – ebenso wie den Erben – die Pflicht, vor einer Zahlung an Nachlassgläubiger sorgfältig zu prüfen, einerseits welche Nachlassverbindlichkeiten vorhanden sind und in Zukunft noch entstehen können sowie andererseits, welche Nachlassaktiva zum Nachlass gehören und welchen Erlös er aus der Verwertung der Aktiva erlangen wird. Hierzu wird es in aller Regel einer möglichst vollständigen Sichtung des Nachlasses, eingehender Durcharbeitung der Unterlagen des Erblassers, Rückfragen z.B. bei Angehörigen und möglichen Vertragspartnern und auch sonstiger Ermittlungen bedürfen. Auf derartig mühevolle und oft auch kostspielige Vorarbeiten, die im Allgemeinen sogar kaum Aufschub dulden, wird selbst dann nicht völlig verzichtet werden können, wenn der Nachlassverwalter zum Erblasser in engen Beziehungen stand und deshalb von vornherein mit den Verhältnissen vertraut ist. Auch wenn es sich sonst um (scheinbar) klare und übersichtliche Verhältnisse handelt, ist es im Allgemeinen geboten, dass der Nachlassverwalter die Nachlassaktiva und -passiva vollständig erfasst und bewertet sowie dann mindestens in groben Zügen aufzeichnet.

 

Rz. 214

Hat der Nachlassverwalter Grund zur Annahme, dass Nachlassverbindlichkeiten vorhanden sind, die ihm trotz aller gebotenen Klärungsversuche noch nicht bekannt geworden sind (§ 1980 Abs. 2 S. 2 BGB), dann muss er grundsätzlich auch das Aufgebot der Nachlassgläubiger beantragen. Ohne dieses Vorgehen, dessen Einzelheiten je nach den Umständen durch die Gebote des Einzelfalls bestimmt werden, darf der Nachlassverwalter nicht von der Zulänglichkeit des Nachlasses ausgehen. Ohne definitive Annahme der Zulänglichkeit darf der Nachlassverwalter keine Nachlassverbindlichkeiten erfüllen.

 

Rz. 215

Der Nachlassverwalter hat bei Kenntnis der Überschuldung des Nachlasses grundsätzlich die Pflicht, unverzüglich die Eröffnung der Nachlassinsolvenz zu beantragen. Wenn er stattdessen ein genehmigungsbedürftiges Geschäft abschließt, so ist ein Grund für die Versagung der nachlassgerichtlichen Genehmigung gegeben. Dies gilt auch dann, wenn damit zu rechnen ist, dass das Insolvenzgericht mangels Masse die Eröffnung der Nachlassinsolvenz ablehnen wird.[138]

[137] BGH FamRZ 1984, 1004 ff.
[138] OLGZ 1984, 304.

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