Rz. 32

Unter bestimmten Voraussetzungen kann es möglich sein, dass der Versicherer verpflichtet ist, auf eine nicht ordnungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung hinzuweisen. So hat das OLG Naumburg, Urt. v. 19.4.2012 – 4 U 37/10 = VersR 2013, 229 entschieden, dass der Versicherer sich nach Treu und Glauben dann nicht auf die Ausschlussfrist zu Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99 berufen kann, wenn er nach selbst eingeholten Arztberichten eine anspruchsbegründende Invalidität für möglich erachtet und es verabsäumt, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass sein rechtzeitig eingereichtes ärztliches Attest nicht den Anforderungen einer Invaliditätsfeststellung nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 99 genügt.

 

Rz. 33

Ein Sichberufen auf das Fristversäumnis der ärztlichen Invaliditätsfeststellung ist auch dann treuwidrig, wenn der Versicherer zunächst zwar belehrt, in einem späteren Schreiben den Versicherungsschutz wegen eines Ausschlusses (Straftat) jedoch verweigert und zugleich dem Versicherungsnehmer anbietet, bei für ihn günstigem Ausgang des Strafverfahrens erneut die Leistungspflicht prüfen zu wollen. Mit dieser Öffnung der Leistungsprüfung hat der Versicherer deutlich gemacht, gerade nicht auf die Einhaltung der Feststellungsfrist zu bestehen, sondern ausschließlich den Ausgang des Strafverfahrens abwarten zu wollen, OLG Naumburg, Beschl. v. 19.7.2013 – 4 W 6/13. Etwas anderes hätte (wohl) dann gegolten, wenn der Versicherer erneut in seinem Ablehnungsschreiben auf die Fristen hingewiesen hätte.

 

Rz. 34

Mit unterschiedlichen Ergebnissen beantworten das OLG Bamberg, Urt. v. 24.1.2013 – 1 U 124/12 und das OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.3.2013 – 5 U 242/12 die Frage, ob der Versicherer treuwidrig handelt, wenn er das Fehlen der ärztlichen Feststellung selbst rügt.

Das OLG Bamberg hat diese Frage verneint und die Klage als unbegründet abgewiesen, da selbst im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung diese Bescheinigung nicht vorlag.

Begründung: Die Hinweispflichten des § 186 VVG machen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nicht entbehrlich.

Anmerkung: Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH wurde dort zurückgewiesen, Beschl. v. 4.12.2013 – IV ZR 79/13.

Dagegen hat das OLG Saarbrücken diese Frage bejaht. Allerdings hatte dort der Versicherer ein Sachverständigengutachten ohne ärztliche Invaliditätsfeststellung eingeholt. Selbst wenn der Versicherungsnehmer im Rechtsstreit eine solche Erklärung nicht vorlegen kann, scheitert die Klage nicht an diesem Umstand.

 

Praxistipp

§ 242 BGB ist Rettungsanker. Dabei zeigen die hier genannten Beispiele, dass häufig der Einzelfall über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Und: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Was hat der Versicherer in seinen Schreiben mitgeteilt? Hat er unmissverständlich abgelehnt oder doch bei Eintritt bestimmter Ereignisse einen neuen Einstieg in seine Leistungsprüfung angekündigt? Zudem eröffnet § 242 BGB dem Anwalt ein breites Argumentationsspektrum. Kreativität siegt. Wem ein Klagerisiko zu hoch erscheint, kann sich in diesen Fällen auch einmal vertrauensvoll an den Vorstand der Versicherung oder den Ombudsmann wenden. Häufig, so zeigt unsere Erfahrung, lässt sich mit diesen Mitteln auch ein außergerichtlicher Vergleich erzielen.

Im Folgenden werden nun innerhalb der drei Fristen einige Probleme aus der Praxis erläutert, wobei wir uns auf die gängigen Bedingungen der AUB 99/AUB 2008 beziehen:

aa) Innerhalb von 12 Monaten Eintritt der Invalidität

 

Rz. 35

Die Invalidität muss innerhalb eines Jahres (also von 12 Monaten) eingetreten sein. Die Frist von einem Jahr ist deshalb gewählt worden, weil kurz nach dem Unfall in der Regel noch keine sichere These aufgestellt werden kann, ob der Unfall einen Dauerschaden (Invalidität) verursacht hat oder nicht. Mitunter können auch schwere Verletzungen in kurzer Zeit ausheilen, so dass nach der Jahresfrist erstaunlicherweise nur geringe Invaliditätsleistungen entstehen.

 

Rz. 36

Praktisch läuft die Sache so ab, dass der Unfall anhand einer Schadensanzeige dem Versicherer gemeldet wird. Dieser wird nun von sich aus kurz vor Ablauf der Jahresfrist eine ärztliche Bewertung vornehmen lassen, indem er Ärzte anschreiben wird, damit diese die Invalidität feststellen.

 

Praxistipp

Der Versicherer ist hierzu jedoch nicht automatisch verpflichtet, da der Versicherungsnehmer für die Einhaltung der drei Fristen beweispflichtig ist. Von daher muss der die Angelegenheit betreuende Anwalt diese Fristen selber überwachen und notfalls selber die medizinische Feststellung durch einen Arzt in die Wege leiten. Wenn nach dem Unfall innerhalb eines Jahres die Invalidität eingetreten ist, sind nunmehr zwei weitere Fristen einzuhalten. Ist es dagegen so, dass das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung sich so darstellt, dass keine Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten ist, wird der Versicherer auch keine Leistungen erbringen, da Sinn und Zweck der privaten Unfallversicherung ist, für den Fall einzustehen, dass ein Dauerschaden eingetreten ist. Ohne einen solchen Dauerschaden erhält der Versicherungsnehmer auch ke...

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