Rz. 182
Nach Ziff. 1.1 der Modellbedingungen (Stand: Februar 2016) ist im Rahmen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) und der nachfolgenden Bestimmungen die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers für Vermögensschäden i.S.v. Ziff. 2.1 AHB versichert, die dadurch entstehen, dass
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aufgrund festgestellter oder nach objektiven Tatsachen, insbesondere ausreichenden Stichprobenbefundes vermuteter, Mängel von Erzeugnissen oder |
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aufgrund behördlicher Anordnung |
zur Vermeidung von Personenschäden, ein Rückruf i.S.d. Ziff. 2 durchgeführt wurde und der Versicherungsnehmer hierfür in Anspruch genommen wird (Ziff. 1.1).
Entscheidend ist zunächst, dass lediglich Vermögensschäden versichert sind, nicht jedoch Personen- und Sachschäden. Ferner geht es dem strengen Wortlaut nach um die "gesetzliche Haftpflicht" des Versicherungsnehmers, was dogmatisch betrachtet auf erhebliche Auslegungsschwierigkeiten stößt. Versicherungsschutz besteht nur dann, wenn der Rückruf von vornherein nur und ausschließlich "zur Vermeidung von Personenschäden" durchgeführt wurde. Unklar bleibt, ob Vermögensschäden auch dann ersetzt werden, wenn der Rückruf "auch" zur Vermeidung von Personenschäden durchgeführt wird. In der Literatur wird dazu – soweit feststellbar – vertreten, dieses Merkmal "zur Vermeidung von Personenschäden" sei im Sinne von "Ausschließlichkeit" zu verstehen. Versicherungsschutz bestehe nur dann, wenn ein Rückruf – nur – zu diesem Zweck tatsächlich durchgeführt werden musste.
Beispiel
Ein Zulieferer hatte Rizinusschrot geliefert, der – nach Vortrag der Klägerin – aktives Rizin II (also toxisches Rizin) enthielt. Die Klägerin – als Düngemittelendherstellerin – hatte dieses Zulieferungsprodukt mit anderen Zutaten vermengt und zu Düngemitteln verarbeitet und schließlich über den Handel an die Verbraucher vertrieben. Es kam zu einem massiven Hundesterben und es war zum Zeitpunkt der Durchführung des Rückrufs nicht ausgeschlossen, ob nicht auch konkrete Gefahr für Leib und Leben von Personen, zumindest für Kleinkinder, bestand (Einzelheiten waren sehr umstritten). In deckungsrechtlicher Hinsicht drängt sich in Einzelfällen die Frage auf, ob ein "gedeckter Rückruf" nicht zumindest auch dann vorliegt, wenn er "auch" zur Vermeidung von Personenschäden erfolgt, wie das zitierte Beispiel zeigt.
Rz. 183
Auf Grund des weit gefassten Wortlautes wird man wohl annehmen müssen, dass es genügt, wenn der Rückruf "auch" zur Vermeidung von Personenschäden durchgeführt wird.
Beispiel
Sofern jedoch ein Kfz-Endhersteller Fahrzeuge "zurückruft", weil die Hutablage beim Schließen der Heckklappe beschädigt werden kann, ist dies aber wohl kein gedeckter "Rückruf" i.S.d. Ziff. 1.1 (Kfz-Teile-Zulieferer-Modell).
Rz. 184
Haftungsrechtlich betrachtet dürfte vor allem auf konkrete Gefahren für Leib und Leben abzustellen sein. Der ehemalige Richter des VI. Zivilsenates Stöhr hat allerdings schon einmal angemerkt, dass auch bei gefährlichen Folgen für "Leben, Leib und Eigentum von Kunden und sonstigen Personen" ein Rückruf notwendig werden könne. Immer wieder wird dann von Unternehmerseite die Frage aufgeworfen, ob dann nicht auch das bestehende Risiko bei drohenden Eigentumsverletzungen gedeckt werden kann, also etwa bei drohenden Sachschäden. Das GDV-Modell spricht insoweit aber klar von "Personenschäden". Immerhin decken mittlerweile einige Versicherer auch "drohende Sachschäden" im Rückrufkosten-Versicherungsvertrag ab, was mit ausländischen Rechtsordnungen und dortigen Gepflogenheiten erklärt werden mag. Die Tendenz ist daher, der Industrie auch außerhalb von Personengefahren, etwa bei Funktionsmängeln, Versicherungsschutz zu gewähren. Dies muss jedoch explizit im Versicherungsvertrag geregelt werden.
Rz. 185
"Erzeugnisse" im Sinne der zitierten Rückrufkosten-Bedingungen können sowohl vom Versicherungsnehmer hergestellte, gelieferte oder vertriebene Erzeugnisse als auch Produkte Dritter sein, die Erzeugnisse des Versicherungsnehmers enthalten (Ziff. 1.2). Versicherungsschutz wird auch gewährt, wenn der Versicherungsnehmer zur Erfüllung seiner "gesetzlichen Rückrufverpflichtung" (siehe dazu Rdn 182) unter vorgenannten Voraussetzungen selbst einen Rückruf i.S.v. Ziff. 2 durchführt und ihm hierdurch ein Vermögensschaden entsteht (Ziff. 1.3 des Modells für Hersteller- und Handelsbetriebe). Demgegenüber besteht für Ansprüche wegen Personen- und Sachschäden i.S.v. Ziff. 1.1 AHB und allen sich daraus ergebenden Vermögensschäden kein Versicherungsschutz (Ziff. 1.4).