Rz. 197
Über die Voraussetzungen und den Umfang einer sich aus der Produktbeobachtungspflicht zu Lasten des Herstellers ergebenen Rückrufpflicht bestand von Anbeginn, insbesondere seit Mitte der 90er Jahre, an eine fortlaufende Diskussion. Einzelheiten zu den Voraussetzungen und zum Umfang von Maßnahmen, die der Hersteller eines fehlerhaften Produktes zur erkannten Gefahrenbeseitigung zu ergreifen hat – immer bezogen auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – waren seinerzeit heftig umstritten. Nach einigen richtungweisenden Entscheidungen ist es in den Folgejahren ruhig geworden, um die in Rede stehende Gesamtthematik. Eine Reihe von jüngeren Entscheidungen, insbesondere die bereits mehrfach zitierten drei landgerichtlichen Urteile und die Entscheidung des OLG Hamm, aber auch die "Rizin-Düngemittelentscheidung" des OLG Düsseldorf, haben die Diskussion – diesmal fokussiert auf den Aspekt des Umfangs von Gefahrenbeseitigungsmaßnahmen (kostenloser Austausch als adäquates Mittel) und über die Abgrenzung zwischen dem (kostenlosen) Austausch und der "bloßen Warnung" – wieder aufleben lassen. Mit einer "knackig-kurzen" These hatte Molitoris in einer kurzen Pressemitteilung zu einer der soeben zitierten landgerichtlichen Entscheidungen verlauten lassen, dass dem Urteil des LG Frankfurt a.M. "Meilenstein-Charakter" zukomme. Er wagte die These, die Entscheidung lasse Raum für die Überlegung, dass der "Rückruf" – in Form eines kostenlosen Austausches oder in Form einer kostenlosen Nachrüstung – künftig gänzlich obsolet sein könne. Noch weitergehend interpretierte Kettler, dieser Auffassung folgend könne – rhetorisch fügte er hinzu "schlimmstenfalls" – aber fälschlicherweise der Schluss gezogen werden, dass Industrie- und Versicherungswirtschaft jedes Jahr Milliarden für Produktrückrufe ausgeben würden, ohne dazu verpflichtet zu sein, wenn denn die Annahme von Molitoris zutreffen würde. Diese Annahme als richtig unterstellt, hätte sich wohl die Rückrufpraxis weit vom Haftungsrecht entfernt und es sei dann – dann wohl unbewusst – zu hohen Kulanzleistungen von Seiten der Versicherungswirtschaft gekommen. Mit beachtlichen Argumenten widerlegt Kettler in einem Aufsatz mit dem Thema "Renaissance der Rückrufkostendiskussion: Ist die Rückrufpflicht mit kostenloser Reparatur ein – teurer – Irrtum?" die von Molitoris erkennbar lediglich provokant, und um die Diskussion überhaupt wiederbeleben zu können, wohl bewusst "reißerisch" – quasi wie ein Paukenschlag Wirkung erzielen sollende – These und führt seinerseits aus, weshalb es nach wie vor zu Rückrufen (im Sinne eines kostenlosen Austausches) kommen wird, und warum nach wie vor ein Bedürfnis besteht, Rückrufkostendeckungen anzubieten – und für die Versicherungsnehmer – abzuschließen.
Hier – im Rahmen eines Kurzabrisses – ist nicht der geeignete Raum für eine sachlich umfassende Erörterung der gegensätzlichen Positionen. Hier daher nur einige grundlegende Aspekte: Zutreffend führt Kettler an, dass bei Sichtung der jüngeren Urteile – insbesondere der landgerichtlichen Urteile und bei Sichtung der Entscheidung des OLG Hamm – keinen Grund sehen würde, von der bis dato ergangenen Rechtsprechung abzuweichen. Selbst wenn – so Kettler – den landgerichtlichen Urteilen überhaupt entnommen werden dürfte, dass Warnungen gegenüber Angeboten von kostenpflichtigen Reparaturen des Produkts in der Regel bereits zur Gefahrenbeseitigung ausreichend seien, was er zumindest bezweifelt, sei dies im Ergebnis dann nicht überzeugend. Es hätten den Entscheidungen nämlich besondere Sachkonstellationen zugrunde gelegen: So habe es sich jeweils um Produkte gehandelt, die in die Verantwortung fachkundiger, professioneller Abnehmer gelangt wären. Demgegenüber sei es in den älteren OLG-Entscheidungen stets um Produkte gegangen, die in die Hände privater Endverbraucher gelangt seien. Demzufolge werde künftig wohl – so Kettler – nach dem Adressatenkreis zu differenzieren sein, etwa danach, ob der Adressat Verbraucher sei oder nicht. Zudem müsse beachtet werden, ob und inwieweit unbeteiligte Dritte mit einem mangelhaften Produkt in Berührung kommen können. So hält er eine Rückrufaktion mit kostenloser Reparatur dann für zumutbar, wenn höchstrangige Rechtsgüter für Menschen auf dem Spiel stehen, die zumeist weder mit dem gefährlichen Produkt des Herstellers noch mit dem gefährdenden Produktbesitzer irgendetwas zu tun haben. Insbesondere unbeteiligte Dritte, sog. Bystander, wissen bekanntlich ja nichts von den von einem Produkt ausgehenden Gefahren und können ihnen deshalb nicht ausweichen. Mit Rücksicht auf den Schutz dieser Unbeteiligten sei abzuwägen, welche Maßnahmen dann konkret zumutbar seien, und in konkreten Fällen könnte daher auch künftig Vieles dafürsprechen – und dies hebt Kettler zu Recht hervor – eine Maßnahme zu ergreifen, die einen kostenlosen Austausch mit einschließt.
Rz. 198
Richtig an dieser Aussage ist, dass es gute Gründe gibt, zu d...