Rz. 29
Unter einem Sachschaden ist – in Anlehnung an die grundlegende Regelung in Ziff. 1.1 AHB – die Beschädigung oder Vernichtung von Sachen zu verstehen. Zur Auslegung können auch die Strafvorschriften zur Sachbeschädigung herangezogen werden. Dabei liegt eine Beschädigung nicht nur vor, wenn auf die Substanz einer (bereits bestehenden) Sache körperlich so eingewirkt wird, dass deren zunächst vorhandener Zustand beeinträchtigt oder deren Gebrauchsfähigkeit aufgehoben oder gemindert wird. Ein Sachschaden kann auch vorliegen, ohne dass Eingriffe in die Substanz selbst vorliegen, wenn beispielsweise Luft aus Autoreifen abgelassen wird. Als Sachschaden i.S.d. Ziff. 1.1 AHB ist es – bei gebotener wirtschaftlicher Betrachtung – auch anzusehen, wenn eine Sache in ihrer Substanz und der Funktionsfähigkeit tatsächlich unbeeinträchtigt bleibt, dem Berechtigten jedoch der damit verbundene Besitz oder die wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit entzogen wird. Ein Ring, der auf dem Meeresgrund liegt und zu dessen Bergung sich niemand gegen vertretbares Entgelt bereit erklärt, ist demzufolge wirtschaftlich gesehen wertlos. Es handelt sich um einen versicherten Sachschaden. Verwiesen sei auch auf die Entscheidung des OLG Hamm vom 11.11.1992. Ein Lohndrescher hatte Stroh mangelhaft ausgedroschen. Der Auftrag gebende Landwirt verwandte dieses mangelhaft gedroschene Stroh, um es zwischen Erdbeerpflanzen während ihres Aufwuchses zu verstreuen. Auf Grund des mangelhaften Strohs bildete sich eine geschlossene grüne Decke, so dass die Erdbeerfrüchte infolge Minderwuchses nicht ausreifen konnten. Der Lohndrescher wurde schließlich von dem Landwirt auf Schadensersatz in Anspruch genommen und das OLG Hamm entschied zutreffend, dass ein deckungspflichtiger Sachschaden gegeben sei, weil es zu einer wertmindernden Wirkung auf die Sachsubstanz gekommen war, bedingt durch die Unbrauchbarkeit der Erdbeerpflanzen mit der Folge des Ernteausfalls.
Rz. 30
Ab 1954 stellte die Rechtsprechung immer wieder heraus, dass die Herstellung einer von Anfang an mangelhaften Sache zum Zeitpunkt der Übergabe keine Sachbeschädigung darstellt. Dies hat sich bis heute – soweit feststellbar – nicht geändert. Die in den 60er Jahren ergangenen Urteile zur "Sachschaden-Deckung" in der Architektenhaftpflichtversicherung, mit denen die Gerichte bereits in der bloßen Herstellung einer mangelhaften Sache einen (versicherten) Sachschaden annahmen, sind nicht zwingend auf andere Bereiche der Haftpflichtversicherung zu übertragen, wie der BGH später feststellte.
Rz. 31
Zu verweisen ist auch auf das sog. Most-Urteil des BGH. Most, der für die Weiterverarbeitung vorgesehen war, wurde (auf Veranlassung des Versicherungsnehmers) Kalk in falscher Dosierung zugesetzt, wodurch der Most für die Weinbereitung ungeeignet wurde. Der BGH nahm einen Sachschaden an mit der Begründung, dass auf die Substanz einer bestehenden Sache eingewirkt worden und daraufhin eine Aufhebung bzw. Minderung der Gebrauchstauglichkeit eingetreten sei.
Ferner sei auf die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. verwiesen. Der Versicherungsnehmer setzte die Abstandshalter für die Armierung einer Betondecke nicht zutreffend. Infolgedessen wurden die Eisenmatten im abbindenden Beton schief eingebunden und waren später sichtbar. Die Decke musste insgesamt abgetragen und erneut eingebracht werden. Das OLG Frankfurt a.M. hat keinen Sachschaden angenommen, weil die Betondecke von Anfang an mangelhaft angelegt war.
Grundsätzlich ist damit das Herstellen einer von vornherein fehlerhaften Sache ein reiner Vermögensschaden, es sei denn, es liegt ein Folgeschaden an weiteren Sachen oder ein Personenfolgeschaden vor. So hat das OLG Saarbrücken in einem Fall, bei dem es um die fehlerhafte Herstellung von Betoneisenprodukten ging, entsprechend entschieden.
Rz. 32
Soweit die Rechtsprechung den deliktischen Eigentumsschutz zunehmend ausdehnt – im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB, insbesondere durch das Kondensatorurteil und im Anschluss daran durch die später ergangene Transistorentscheidung – hat dies unbestreitbar Auswirkungen auch für den Deckungsbereich. Durch diese Entscheidungen wird – jedenfalls mittelbar – auch der "Sachschaden" tangiert. Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Entscheidungen folgende Konsequenz: Werden bei der Herstellung einer neuen Sache mangelfreie Teile mit mangelhaften Zuliefererteilen verbunden, so kommt eine zur Haftung führende Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls hinsichtlich der zunächst einwandfreien Teile in Betracht. Soweit haftungsrechtlich eine Eigentumsverletzung vom BGH angenommen wird, kann dann, wenngleich nicht immer und nicht zwingend, auch ein "Sachschaden" i.S.d. Ziff. 1.1 AHB anzunehmen sein. Diese Gefahr der Ausdehnung des deckungsrechtlichen Begriffs des Sachschadens durch die Ausweitung des Begriffs der Eigentumsverletzung sehen Versicherer zu Recht und mahnen zur Vorsicht bei der Ausdehnun...