Rz. 150
Fraglich ist, was unter dem Begriff der "ausreichenden Erprobung" zu verstehen ist. Entscheidend ist auch hier, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese Formulierung in Ziff. 6.2.5 bei verständiger Würdigung und bei aufmerksamer Sichtung und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss. Zu Recht wird in der Literatur hervorgehoben, dass unter der "Erprobung" etwas anderes zu verstehen ist als unter einem bloßen Experiment, das der Überprüfung einer These dient. Entscheidend ist, dass die Erwartungen an die Gebrauchsfähigkeit und Lebensdauer eines Produktes "auch in der Praxis" erfüllt werden können. Dies setzt zumindest eine grundlegende "systematische Prüfung" in einem geregelten Verfahren voraus. Durch "systematisierte Erprobung" muss das Produkt eine Beschaffenheit erlangen, die grundsätzlich mangelfrei ist (vgl. § 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Durch bestimmte Verfahren muss also die grundsätzliche Mangelfreiheit der Sache gewährleistet sein. Sofern durch konkrete systematische Verfahrensabläufe die generelle Mangelfreiheit von Produkten in der Praxis zu erwarten ist, kann m.E. aber von einer "ausreichenden Erprobung" gesprochen werden. Die hier vertretene Auslegung entspricht auch den Ansätzen in der Judikatur.
Rz. 151
So trennt auch das OLG Frankfurt a.M. zwischen Entwicklungs- und sich daran anschließenden Erprobungsphasen. Durch die Erprobung sollen eben keine erhöhten Risiken für Rechtsgüter Dritter entstehen. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung soll eine Erprobung als nicht ausreichend angesehen werden, wenn es (noch) keine anerkannten Erprobungsmethoden gibt. Derartige Ansätze helfen im Ergebnis nicht weiter. Insbesondere wenn es um neue Produkte geht oder um solche, die mit neuen Produktionsmethoden oder unter Verwendung anderer Materialien als bisher produziert worden sind, wird die Thematik augenfällig.
Beispiel
Die Veränderung der Rezeptur im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck.
Rz. 152
Ansonsten spricht viel dafür bei der Auslegung der Erprobungsklausel von einem weiten Anwendungsbereich auszugehen. Dabei kann nur im Einzelfall entschieden werden, wie "lange" eine Erprobung angedauert haben muss und wie der "Umfang im Einzelnen" darzulegen ist. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des BGH vom 9.1.1991 verwiesen:
Beispiel
In dieser Entscheidung hatte der Versicherungsnehmer eine Flüssiggasanlage zum Einbau in beliebige Fahrzeugmotoren auf den Markt gebracht, sie jedoch nur an einzelnen Fahrzeugmotoren erprobt.
Rz. 153
Nach Ansicht des BGH war die Flüssiggasanlage ein nicht ausreichend erprobtes Erzeugnis (im Sinne des Modells). Wer – so der BGH – ohne Einschränkung eine Flüssiggasanlage zum Einbau in beliebige Fahrzeugmotoren auf den Markt bringe, könne und dürfe nicht erwarten, dass seine Abnehmer bereit seien, ein Produkt zu erwerben, das sie erst selbst darauf erproben müssten, ob es die vertraglich vorgesehene universelle Eignung überhaupt besitze. Die (gegenteilige) Ansicht des Berufungsgerichts führe zu dem Widerspruch, dass der Hersteller einer neuen Anlage, die er zum Einbau in beispielsweise drei bestimmte Fahrzeugtypen anbiete, diese zuvor in jedem dieser Fahrzeugtypen erproben müsse, um Versicherungsschutz bei der Beklagten zu erhalten, dass aber der Hersteller einer neuen Anlage, die er als universell zum Einbau geeignet in beliebige Pkws anbiete, Versicherungsschutz schon dann beanspruchen könnte, wenn er die Anlage wenigstens in einem beliebigen Fahrzeug in dem nach der Risikoausschlussklausel erforderlichen Umfange erprobt hätte. Trotz dieser Entscheidungen und den zutreffenden Ausführungen in der Literatur kann von einer gänzlich exakten Bestimmung des Begriffs der "nicht ausreichenden Erprobung" leider wohl noch immer nicht gesprochen werden.