Rz. 162
Mit dem in Ziff. 6.2.8 geregelten Rückrufkostenausschluss sollen Überschneidungen zu den Rückrufkostendeckungen vermieden und die Abgrenzung einfach gestaltet werden. Die Regelung in Ziff. 6.2.8 schließt Ansprüche wegen Kosten, die im Zusammenhang mit einem Rückruf von Erzeugnissen geltend gemacht werden, aus, wobei sowohl der Rückruf, als auch der Begriff des Erzeugnisses in der Ziff. 6.2.8 selbst definiert sind. Es handelt sich an sich gar nicht um einen Ausschlusstatbestand, sondern vielmehr um eine Klarstellung.
Die Regelung der Ziff. 6.2.8 hat als wesentliche Voraussetzung, dass ein Rückruf tatsächlich durchgeführt worden ist, und zwar ein solcher, der auf "gesetzlicher Verpflichtung" beruhte. Auch wenn ich im Ergebnis die Heranziehung der Definition des Rückrufs begrüße, scheint es jedenfalls nicht unproblematisch, den Begriff der "gesetzlichen Verpflichtung" zum zentralen Ansatz der Definition zu machen. Die Frage ist nämlich, was unter der "gesetzlichen (Rückruf-)Verpflichtung" tatsächlich zu verstehen ist.
Die Verpflichtung kann zum einen auf der Verkehrssicherungspflicht des Versicherungsnehmers beruhen, zum anderen auf einer entsprechenden behördlichen Anordnung zur Durchführung eines Rückrufs.
Eine gesetzliche Verpflichtung zur Einleitung von Rückrufmaßnahmen kann sich vor allem aus öffentlichem Recht, nämlich dem besonderen Verwaltungsrecht, dem Marktüberwachungsrecht, ergeben: Die jeweils zuständige Behörde kann nach den Vorgaben des Produktsicherheitsgesetzes einen Rückruf anordnen, wenn bei einem in den Verkehr gebrachten nicht sicheren Produkt i.S.v. § 3 ProdSG eine für den Verbraucher bestehende Gefahr nicht anders beseitigt werden kann (vgl. § 8 Marktüberwachungsgesetz i.V.m. Art. 16 Abs. 5 der Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020). Ergeht demzufolge ein belastender Verwaltungsakt gegen einen Hersteller oder Händler nach Recht und Gesetz – sei es nun mit Entschließungsermessen der Behörde – und wurde ggf. auch die sofortige Vollziehung angeordnet, haben diese zu reagieren und einen Rückruf durchzuführen, insbesondere dann, wenn Rechtsmittel nicht erfolgreich einlegt werden. Unproblematisch wäre dann ein Rückruf "auf gesetzlicher Verpflichtung" beruhend erfolgt.
Der Fall ist nicht gänzlich vergleichbar dem, dass sich die Verpflichtung insbesondere aus der von der Rechtsprechung entwickelten Produktbeobachtungspflicht – als Ausprägung der Verkehrssicherungspflicht – ergibt. Von der Rechtsprechung entwickelte Pflichten sind nicht zwingend "gesetzliche Pflichten". Trotzdem handelt ein Hersteller, der sich verpflichtet fühlt, einen Rückruf wegen der bestehenden konkreten Gefahren für Leib und Leben nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen durchzuführen, im Sinne der Rechtsprechung und damit auch im Lichte des "Gesetzes". Deshalb kann nichts anderes gelten, als bei Annahme eines behördlichen Rückrufs, wenn ein Rückruf vom Hersteller selbst durchgeführt wird, ohne dass (zuvor) ein belastender Verwaltungsakt gegenüber dem Hersteller ergangen ist und dieser – schon vor Erlass eines Verwaltungsaktes – einen "Rückruf" durchführt.
Rz. 163
Der Begriff der "gesetzlichen Verpflichtung" in Ziff. 6.2.8 ist damit nicht "wörtlich" zu verstehen und sogar weit auszulegen. Es genügt danach, dass der Hersteller die im Rahmen der durch Rechtsfortbildung weiterentwickelten Kriterien einhält und daher "im Rahmen der richterlichen Vorgaben" agiert und im Einklang mit der Judikatur einen Rückruf durchführt. Schon dann greift der Ausschlusstatbestand.
Beispiel ("Dunstabzugshauben-Fall")
Der Versicherungsnehmer stellt Elektromotoren für Dunstabzugshauben her. Die Dunstabzugshauben müssen wegen Kurzschluss- und damit Brandgefahr ausgetauscht werden. Versicherungsschutz besteht dann wegen Ziff. 6.2.8 ProdHM nur über eine gesondert zu vereinbarende Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung (siehe auch Rdn 166).
Rz. 164
In jüngerer Zeit ist die Frage der Notwendigkeit der Durchführung eines (kostenlosen) Rückrufs – dies könnte natürlich auch Auswirkungen haben bei der Auslegung des Merkmals "gesetzlicher Verpflichtung" i.S.d. Ziff. 6.2.8 – durch landgerichtliche Urteile sowie eine OLG-Entscheidung neu entfacht worden.
Molitoris hat dabei vertreten, dass insbesondere dem Urteil des LG Frankfurt a.M. Meilenstein-Charakter zukomme und künftig kostenlose Austauschmaßnahmen – vorsichtig formuliert – eher die Ausnahme sein könnten. Richtig ist, die Diskussion zu führen. Zutreffend ist es aber auch zu differenzieren: Als gesichert dürfte gelten, dass es – aufgrund der bisherigen Rechtsprechung – konsequenterweise nach wie vor Rückrufe im Sinne kostenloser Austausche geben wird. Beispielhaft sei verwiesen auf den Fall, dass eine in Betracht kommende bloße Warnung dem Empfänger schaden könnte, so dass nur der kostenlose Rückruf als adäquates Mittel der Gefahrenbeseitigung tatsächlich in Betracht kommen kann:
Beispiel
Das bloße Berühren eines Sicherhe...