Rz. 179
Auf Wunsch der Automobil- und Zuliefererindustrie haben die Versicherer zunächst für den Kfz-Bereich 1981 eine Rückrufkosten-Versicherung eingeführt. Diese hatte Vorbildfunktion für andere Industriezweige, vereinzelt auch in der Lebensmittelbranche. Ein Anknüpfungspunkt für die Einführung der Rückrufkosten-Versicherung war die Überlegung, die damit verbundenen erheblichen Risiken jedenfalls nicht kostenlos von dem Produkthaftpflicht-Modell erfasst wissen zu wollen. Andererseits bestand das Bedürfnis zumindest einiger Hersteller, Rückrufkostenrisiken definitiv abzudecken. Bei weltweiter Verbreitung eines mangelhaften Erzeugnisses kann ein Rückruf Kosten in Millionenhöhe verschlingen, wie jüngste Beispiele aus der Automobilpraxis, aber auch der Nahrungsmittelbranche sowie aus den Bereichen der Elektronikherstellung beweisen. Sowohl auf Seiten der Endhersteller als auch auf Seiten der Zulieferer besteht daher ein praktisches Bedürfnis, die enormen Risiken möglichst umfassend abzusichern. Ursprünglich waren die Versicherer zurückhaltend, das Risiko überhaupt abzudecken, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass unter Umständen Rückrufe auch erfolgen konnten, wenn überhaupt noch kein konkreter Sach- oder Personenschaden eingetreten war und sich der Rückruf als "bloß schadensverhütende Maßnahme" darstellte. Es handelte sich in Fällen dieser Art an sich um einen "typischen Eigenschaden", also um einen "reinen Vermögensschaden" des zurückrufenden Unternehmers, der – und auch hier stieß man auf dogmatische Bedenken – grundsätzlich nicht Gegenstand der allgemeinen Haftpflichtversicherung sein konnte. Die dogmatischen Aspekte liegen auf der Hand: Die Grenzen zum Deckungsbereich einer Haftpflichtversicherung sind betroffen, wenn der Versicherungsschutz uneingeschränkt gewährt wird, obwohl noch kein konkreter Sach- oder Personenschaden eingetreten ist (sog. bloße Schadensverhütungsmaßnahme). Die Kosten der Rückrufaktion selbst stellen aber nicht immer ein "Schadenereignis" dar. Es handelte sich auch nicht (stets) um "echte Rettungskosten" i.S.d. §§ 82, 83 VVG, da eben zur Zeit der Durchführung der Aktion i.d.R. auch noch kein "Versicherungsfall" eingetreten war; es handelt sich in einigen Fällen nicht selten eben um eine vorgezogene "Rettungskostenaktion". Es geht daher nicht um den Ausgleich von Schadensersatzpositionen Dritter, sondern um zum Teil rein präventive Maßnahmen mit dabei entstehenden Aufwendungen (Aufwendungsersatz, § 83 VVG).
Rz. 180
Um das bestehende hohe Insolvenzrisiko eines betroffenen Endherstellers oder eines betroffenen Herstellers (vgl. § 4 ProdHaftG), der einen Rückruf durchführen muss, dennoch abzusichern, ist die "Rückrufkosten-Versicherung" eingeführt worden. Um dem tatsächlichen Risiko gerecht zu werden, sind i.d.R. hohe Deckungssummen erforderlich mit der Folge, dass die Rückrufkosten-Versicherung nur gegen "hohe Prämien" unter gleichzeitiger Vereinbarung von hohen Selbstbehalten einzukaufen ist. Die zentrale Innovation der Einführung der Rückrufkostenversicherung war es, auch unternehmerische Risiken, die eben aus der Durchführung von Produktrückrufen resultieren, zu decken. Es handelt sich immer noch um eine "neuere Form der Versicherung", die zwar noch zu den Haftpflichtversicherungen zählt, aber die Haftpflicht nicht mehr in engen Grenzen umfasst.
Doch nach wie vor wird das Angebot an Deckungsschutz von der Industrie, insbesondere von Endherstellern im Automobilbereich, nicht für ausreichend erachtet und Forderungen nach Deckungserweiterungen werden in jüngster Zeit immer offener erhoben. Die Versicherungswirtschaft sollte dies sorgfältig prüfen und die Modellinhalte überdenken, ggf. neue Deckungskonzepte erarbeiten, die auch den aktuellen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf den Einfluss des Marktüberwachungsrechts in der Europäischen Union, besser und eher gerecht werden.
Rz. 181
Wie ausgeführt kam es im Jahre 1981 zu einer ersten Kfz-Rückrufkostenversicherung. Entsprechend der Verbandsempfehlung von 1998 für Rückrufkosten-Haftpflichtversicherungen des GDV existieren heute zwei grundlegende Modelle: Zum einen die "Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer" (Stand: Februar 2016) sowie die "Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Hersteller und Handelsbetriebe" (Stand: Februar 2016). Beide werden unverbindlich bekannt gegeben als Musterbedingungen des GDV.