Rz. 114
BGH, Beschl. v. 10.3.2015 – VI ZB 28/14, zfs 2016, 206 = VersR 2016, 1008
Zitat
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, Nr. 3
a) |
Für die Zulässigkeit der Berufung ist es ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsführers in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. |
b) |
Ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit einer gerügten Rechtsverletzung oder einer beanstandeten Tatsachenfeststellung unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil in Verbindung mit den Ausführungen in der Berufungsbegründung, bedarf sie keiner gesonderten Darlegung in der Berufungsbegründung. |
a) Der Fall
Rz. 115
Die Klägerin nahm die Beklagten aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns auf Ersatz materiellen Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin fuhr mit seinem Pkw auf einer Bundesstraße hinter einem bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten Fahrzeuggespann. Die Beklagte zu 2 war Halterin des Zugfahrzeugs; der Beklagte zu 1 war dessen Fahrer und Halter des Anhängers. Als das Gespann nach links in eine Parkplatzeinfahrt abbog, fuhr der Ehemann der Klägerin auf den Anhänger auf.
Rz. 116
Das Landgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsquote von 60 % stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. In die Abwägung der Verursachungsbeiträge hat es zulasten der Klägerin eingestellt, dass ihr Ehemann bei unklarer Verkehrslage überholt habe. Zu Lasten der Beklagten hat es neben der Länge des Gespanns und der durch den Anhänger reduzierten Übersichtlichkeit einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht berücksichtigt. Einen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 9 Abs. 5 StVO hat es aus Rechtsgründen verneint. Einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht beim Abbiegen hat es aufgrund der vom Vorgänger des erkennenden Einzelrichters durchgeführten Zeugenvernehmung und Anhörung des Beklagten zu 1 als nicht erwiesen angesehen. Die geltend gemachten Verbringungskosten hat es als nicht ersatzfähig angesehen, da ihre Entstehung nicht nachvollziehbar sei.
Rz. 117
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, dass die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO nur insoweit genüge, als die Kürzung der Kostenpauschale, der Mietwagenkosten und der Anwaltsgebühren angegriffen werde. Die sich daraus ergebende Beschwer in Höhe von 333,65 EUR erreiche aber nicht die Berufungssumme. Hinsichtlich der Klageabweisung im Übrigen lasse die Berufungsbegründung nicht erkennen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sein solle. Es würden im Ansatz zwar Rechtsverletzungen gerügt; inwieweit das Urteil aber darauf beruhe, sei unklar. Soweit gerügt werde, wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sei eine Wiederholung der Beweisaufnahme geboten, sei nicht dargelegt, welche beweiserhebliche Frage zu klären sei. Auch soweit die Verneinung des § 9 Abs. 5 StVO beanstandet werde, bleibe die Entscheidungserheblichkeit der vermeintlichen Rechtsverletzung unklar. Dass das Landgericht eine Haftung der Beklagten lediglich in Höhe von 60 % angenommen habe, beruhe ausweislich der Entscheidung nicht auf der Verneinung eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO, sondern darauf, dass auch dem Ehemann der Klägerin ein Verkehrsverstoß vorgeworfen worden sei. Soweit gerügt werde, das Landgericht habe die Haftungsquote bestimmt, ohne den Haftungsmaßstab der einzelnen Beteiligten zu berücksichtigen, treffe dies nicht zu. Die Berufung gegen die Aberkennung der Verbringungskosten werde ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt, ohne dass aufgezeigt werde, aus welchem Grund das Vorbringen in der Berufungsinstanz zuzulassen sei.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 118
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie war auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich war (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzte die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hatte die in § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO normierten Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise verwehrt.
Rz. 119
Die Rechtsbeschwerde war auch begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügte die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Rz. 120
Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Er...