Rz. 88
BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 195/12, zfs 2013, 288
Zitat
RVG § 14 Abs. 1; VV-RVG Nr. 2300
Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3, die die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt, auf eine 1,5-fache Gebühr ist der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 nicht entzogen (Fortführung BGH, 11.7.2012 – VIII ZR 323/11, NJW 2012, 2813; Aufgabe BGH, 8.5.2012 – VI ZR 273/11, VersR 2012, 1056).
a) Der Fall
Rz. 89
Die Beklagten hafteten der Klägerin auf Ersatz von 50 % des bei einem Verkehrsunfall entstandenen Schadens. Im Revisionsverfahren stritten die Parteien noch darum, ob die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts der Klägerin mit einer 1,5 Geschäftsgebühr oder mit einer 1,3 Geschäftsgebühr abzurechnen war.
Rz. 90
Das Landgericht hat der Schadensberechnung eine 1,3 Geschäftsgebühr zugrunde gelegt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin insoweit zurückgewiesen. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, die auf die Frage nach der Höhe der anzusetzenden Geschäftsgebühr beschränkt war. Die Klägerin erstrebte die Zuerkennung einer 1,5 Geschäftsgebühr.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 91
Die Revision war unbegründet. Das Berufungsgericht hatte ohne Rechtsfehler angenommen, dass im vorliegenden Fall die anwaltliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG mit 1,3 anzusetzen war.
Rz. 92
Ohne Erfolg wandte sich die Revision gegen den rechtlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Rz. 93
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20 % der gerichtlichen Überprüfung entzogen (BGH, Urt. v. 11.7.2012 – VIII ZR 323/11, zfs 2012, 584 = NJW 2012, 2813 Rn 8 ff. m.w.N.).
Rz. 94
Zwar steht dem Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG ein Ermessensspielraum zu, sodass, solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 % bewegt, die Gebühr nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG und daher von einem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen ist. Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3, die die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt, auf eine 1,5-fache Gebühr ist aber nicht der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entzogen. Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Dies verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300 VV-RVG, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war.
Rz. 95
Soweit dem Urteil des erkennenden Senats vom 8.5.2012 (VI ZR 273/11, VersR 2012, 1056 Rn 4 f.) etwas Abweichendes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.
Rz. 96
Ohne Erfolg machte die Revision auch geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen einer überdurchschnittlichen Angelegenheit verneint.
Rz. 97
Das Berufungsgericht hatte seiner Entscheidung eine mögliche tatrichterliche Bewertung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls zugrunde gelegt. Die Revision zeigte keine Gesichtspunkte auf, die dies als rechtsfehlerhaft erscheinen lassen könnten.
Rz. 98
Der Revision war auch nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht bei seiner Bewertung Vortrag der Klägerin übergangen haben könnte. Die von der Revision unter Verweis auf die Berufungsbegründung aufgeführten Umstände (streitiger Verkehrsunfall, Vorwurf eines Rotlichtverstoßes, Leasingfahrzeug, Schadenshöhe, Stundungsabrede) waren im Berufungsurteil ausdrücklich aufgeführt; das Berufungsgericht sah diese Umstände lediglich als für die Annahme einer umfangreichen oder schwierigen und damit überdurchschnittlichen Tätigkeit unzureichend an.