Rz. 39
Zwar gehört die Treuhandtätigkeit zum Berufsbild des Rechtsanwalts; daran ändert es nichts, dass die Gebührenordnung für Rechtsanwälte für eine solche Tätigkeit nicht gilt (§ 1 Abs. 2 RVG). Bei der Wahrnehmung einer Treuhandaufgabe rückt aber – mehr noch als bei einem Vertrag mit Schutzwirkung (vgl. § 10 Rdn 70) und einem Auskunftsvertrag (vgl. § 11 Rdn 34) – das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen in den Vordergrund (§§ 43a Abs. 4, 59b Abs. 2 Nr. 1e BRAO mit § 3 BORA und Nr. 3.2 der Berufsregeln der Rechtsanwälte der EU; § 356 StGB). Dieses Verbot soll den Rechtsanwalt vor Interessenkonflikten schützen und damit seine Unabhängigkeit wahren; letztlich dient das Verbot der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Da § 43a Abs. 4 BRAO über § 356 StGB hinausgeht, ist auch ein fahrlässiger Verstoß pflichtwidrig.
Rz. 40
Abweichend von dem Grundsatz, dass der Rechtsanwalt nur die Interessen seines Auftraggebers wahrzunehmen und zu vertreten hat, verlangt ein Treuhandvertrag häufig, dass der Rechtsanwalt als Treuhänder neben den Belangen seines Mandanten ein fremdes Interesse – eines Dritten oder mehrerer Personen – wahren muss (mehrseitige Treuhand). Da die Interessen der Beteiligten meistens gegenläufig sind, kann der Rechtsanwalt als Treuhänder leicht gegen das Verbot verstoßen, mehrere Parteien mit entgegengesetzten Interessen in derselben Rechtssache zu beraten und zu vertreten. Eine anwaltliche Tätigkeit ist dann unzulässig, wenn gegensätzliche Belange des Auftraggebers und weiterer Beteiligter es auszuschließen, dass dem Rechtsanwalt ein übergeordnetes gemeinschaftliches Interesse dieser Personen anvertraut ist.
Ein Rechtsanwalt, der auf einem Anderkonto Geld erhält, welches von einem Dritten in Erfüllung einer mit dem Mandanten getroffenen Vereinbarung geleistet wird, handelt schon im Blick auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4, § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e BRAO) in aller Regel allein als Vertreter seines Auftraggebers. Jedoch ist eine zusätzliche vertragliche Verpflichtung des Rechtsanwalts in Betracht zu ziehen, wenn sich aus den getroffenen Abreden oder besonderen Umständen des Falles ausnahmsweise etwas anderes ergibt. Dies kann etwa gelten, wenn einem Sicherungsbedürfnis des Zahlenden durch den Abschluss einer Treuhandvereinbarung mit dem Anwalt genügt werden soll. Von einer solchen Fallgestaltung kann auch ausgegangen werden, wenn im Interesse des Dritten eine besondere Vertragsabrede zwischen ihm und dem Anwalt über die Voraussetzungen der Erfüllung der Zahlungspflicht getroffen wird.
Ein Rechtsanwalt kann durch die Beteiligung an einer mehrseitigen Treuhandabrede gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach der Vorschrift des § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen. Wird von dem beteiligten Rechtsanwalt die Auszahlung eines Geldbetrages begehrt, den dieser als Treuhänder vereinbart hat, kann allerdings offenbleiben, ob der Anwalt durch die Übernahme der Aufgabe als Treuhänder gegen berufsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat. Sollte der dem Anwalt erteilte Treuhandauftrag wegen eines berufsrechtlichen Verstoßes unwirksam sein, so hätte dieser den Erlös aus der Zwangsvollstreckung als Geschäftsführer ohne Auftrag vereinnahmt. Da ein möglicherweise vorliegender berufsrechtlicher Verstoß des Rechtsanwalts den von den Beteiligten vereinbarten Maßstab zur Verteilung des Erlöses nicht berührt, bestimmt sich die Herausgabepflicht des Anwalts nach den Vorschriften des § 681 Satz 2, § 667 BGB auch im Falle der Nichtigkeit der Treuhandabrede nach dem Verteilungsschlüssel der Vereinbarung.