Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
Rz. 93
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens bietet sich auch dann an, wenn nur wenige Anknüpfungspunkte zur Verfügung stehen, wie beispielsweise bei Parkplatzunfällen. Dabei handelt es sich i.d.R. um sogenannte Bagatellunfälle. Diese Unfälle werden oftmals gar nicht bzw. nur unzureichend von der Polizei aufgenommen. Da sie auf geringem Geschwindigkeitsniveau stattfinden, fehlen Splitterfelder oder Spuren auf der Fahrbahn gänzlich. Die Fahrzeuge werden nach dem Unfallereignis oftmals versetzt, so dass auch die Endpositionen nicht bekannt sind. Da die Sachschäden von den Beteiligten geltend gemacht werden, liegen i.d.R. aber Reparaturrechnungen und/oder Gutachten einschließlich Fotos vor.
Gegenstand von gerichtlichen Verfahren ist der Vorwurf, dass der Unfallgegner die entscheidende Ursache gesetzt hätte, während der Unfall für den eigenen Fahrzeugführer unvermeidbar war.
Aus unfallanalytischer Sicht zeigt sich, dass derartige Unfälle zwar häufig im Detail nicht aufzuklären sind, jedoch unter Beachtung juristischer Vorgaben und der Verpflichtung des Fahrzeugführers, während des gesamten Vorgangs der Rückwärtsfahrt die Gefährdung anderer auszuschließen, die Kollision für beide Fahrzeugführer in vielen Fällen vermeidbar ist.
Unterschiede ergeben sich dabei aus den Anfangsszenarien. Wenn die Beteiligten schildern, dass sie aus gegenüberliegenden Parkbuchten gestartet waren, sind aus technischer Sicht drei Möglichkeiten gegeben.
Entsprechend Abbildung 12.17 können beide aus direkt gegenüberliegenden Parkbuchten gestartet sein. Je nach Fahrweise können sich hieraus unterschiedliche Anstoßkonstellationen ergeben.
Abb. 12.17: Start aus gegenüberliegenden Parkbuchten
Fahren beide geradlinig rückwärts heraus, so ergibt sich ein Zusammenstoß der Fahrzeughecks mit großer Überdeckung und geringer bis überhaupt keiner Winkelstellung (12.18). Es ist dann bereits mit bekannter Kollisionsstelle schwierig, zu unterscheiden, welcher Beteiligte zuerst gestartet war. Im Bild wäre wegen der längeren Fahrstrecke zu vermuten, dass dies der von oben kommende Pkw war. Da das Erreichen der Kollisionsstelle auch abhängig von den Geschwindigkeiten ist, konnte aber bei sehr langsamer Fahrt auch das untere Fahrzeug zuerst gestartet sein.
Abb. 12.18: Heckkollision mit voller Überdeckung
Eine bessere Einschätzung ist bei gleicher Ausgangslage dann möglich, wenn beim Zusammenstoß eine Winkelstellung wie in den Abbildungen 12.19a und b vorlag. Eine solche Konstellation ergibt sich, wenn beide ihre Parkplätze in einer Bogenfahrt verlassen, um im Anschluss dem Fahrbahnverlauf direkt folgen zu können.
In den Anstoßzonen können sich dann Charakteristiken ausbilden, die Rückschlüsse auf den Bewegungszustand zum Kollisionszeitpunkt zulassen. Aus der Anstoßkonfiguration folgen auch Hinweise darauf, wer zuerst ausgeparkt hatte.
Abb. 12.19 a Heckkollision mit einer Winkelstellung |
und |
b Anstoß gegen die Fahrzeugseite |
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Auch beim Ausparken aus versetzten Parkbuchten können sich Konstellationen mit voller Überdeckung oder Winkelstellungen beim Zusammenstoß ergeben (vgl. Abb. 12.20 a und b). Auch damit ist es möglich, aufgrund der Bewegungszustände zum Anstoßzeitpunkt und den zurückgelegten Wegstrecken, Rückschlüsse auf den Unfallhergang zu ziehen.
Für die Beurteilung der Vermeidbarkeitsmöglichkeiten ist nicht nur der Bewegungszustand zum Kollisionszeitpunkt maßgeblich, sondern vor allem die Erkennbarkeit des Fahrvorgangs des Unfallgegners. Die Vermeidbarkeitsmöglichkeiten sind teilweise abhängig von der Ausgangssituation.
Beim Ausparken von gegenüberliegenden Parkplätzen können sich die Unfallgegner am besten beobachten, weil der Unfallgegner zu jedem Zeitpunkt sichtbar ist. Mögliche Fahrvorgänge werden frühzeitig durch das Aufleuchten des Bremslichtes oder aber des Rückfahrscheinwerfers angezeigt. Beides liegt im direkten Sichtbereich des Unfallgegners. Auch ohne, dass sich das gegnerische Fahrzeug in Bewegung setzt, wird hierdurch eine mögliche Absicht frühzeitig angezeigt.
Der Unfallgegner ist bereits beim Start sowohl über die Spiegel als auch durch das Heckfenster sichtbar. Er bleibt es auch bis zum Zusammenstoß. Bei dieser Unfallkonstellation wird sich der juristische Anscheinsbeweis, der für eine Vermeidbarkeit spricht, aus technischer Sicht i.d.R. erhärten.
Eingeschränktere Erkennbarkeitsmöglichkeiten ergeben sich dann, wenn die Unfallgegner ursprünglich in versetzten Parkbuchten standen. Wenn die ursprünglichen Abstände sehr groß sind, kann der Startvorgang des Unfallgegners möglicherweise nicht gesehen werden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn sich zwischen den Parkbuchten weitere Fahrzeuge befinden. Dabei kann auch die Fahrzeugart eine Rolle spielen. Die Sicht aus einem SUV oder Van über andere geparkte Fahrzeuge hinweg ist natürlich besser als aus einem tiefer liegenden Sportwagen heraus.
Auch bei dieser Konstellation ergeben sich aber mit der weiteren Annäherung der Unfallgegner gute Sichtmöglichkeiten, so dass auch hier i.d.R. Vermei...