Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
A. Vorbemerkung
Rz. 1
Ist der Unfallhergang und/oder der Umfang des unfallbedingten Schadens streitig, wird der Rechtsstreit häufig durch die Feststellungen entschieden, die der vom Gericht beauftragte Sachverständige trifft. Welche Grundsätze dabei aus technischer Sicht und welche Vorgaben aus juristischer Sicht zu beachten sind, wird mit dem nachfolgenden Abschnitt dargestellt.
B. Die juristischen Vorgaben für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens
Rz. 2
Der Weg zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens im Prozess enthält eine Reihe von Vorgaben, die vom Gericht und den Beteiligten zu beachten sind.
I. Gesetzliche Grundlagen
Rz. 3
Gesetzliche Grundlage des Tätigwerdens eines Sachverständigen im Auftrag des Gerichts sind die §§ 402 ff. ZPO. Daneben sind als rechtliche Grundlage des Sachverständigenbeweises auch stets die "Allgemeinen Vorschriften über die Beweisaufnahme" in den §§ 355–370 ZPO sowie die in den §§ 373–401 ZPO geregelten Vorschriften über den Zeugenbeweis zu beachten, da für den Sachverständigenbeweis gem. § 402 ZPO im Ausgangspunkt nichts anderes gilt, als für den Beweis durch Zeugen.
II. Beweisantritt
Rz. 4
Damit im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens überhaupt ein Sachverständigengutachten zur Aufklärung bestimmter – streitiger – Tatsachen eingeholt werden kann, bedarf es grundsätzlich zunächst einmal überhaupt eines entsprechenden Beweisantrittes der für den aufzuklärenden Punkt beweisbelasteten Partei. Eine Aufklärung von Amts wegen kommt im Zivilverfahren hingegen nur in Ausnahmefällen in Betracht.
1. Beweisantritt einer Partei
Rz. 5
Gem. § 403 ZPO erfolgt der Beweisantritt der Partei, indem die durch den Sachverständigen zu begutachtenden Tatsachen bestimmbar bezeichnet werden. Weitere Voraussetzung für die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist, dass die aufzuklärende Tatsache zwischen den Parteien streitig und für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich ist. Unbestrittener Vortrag einer Partei gilt nach § 138 Abs. 3 ZPO nämlich als zugestanden, so dass eine weitere Tatsachenaufklärung durch einen Sachverständigen gar nicht erforderlich ist. Gleiches gilt selbstverständlich auch, wenn die Tatsache, zu welcher ein Sachverständigengutachten als Beweis angeboten worden ist, für die Entscheidung des Rechtsstreits gar nicht von Relevanz ist. In diesen Fällen muss das Gericht einem entsprechenden Beweisantritt einer Partei nicht nachgehen.
Rz. 6
In den übrigen Fällen, d.h. wenn die zu beweisende Tatsache hinreichend bezeichnet ist und es zur Entscheidung des Rechtsstreits hierauf auch entscheidend ankommt, ist das Gericht verpflichtet, dem Beweisangebot der beweisbelasteten Partei nachzugehen.
Rz. 7
Eine Ausnahme hiervon wird nur für den Fall zugelassen, dass das Gericht die erforderliche Sachkunde selbst besitzt und daher die entscheidungserhebliche Frage selbst beantworten kann, wofür es dann aber einer entsprechenden ausführlichen Begründung des Gerichts bedarf, woher es die eigene Sachkunde nimmt und aus diesem Grund auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet. Im Rahmen eines Verkehrsunfallgeschehens wird dies in der Praxis so gut wie nie vorkommen, da die Gerichte weder die erforderliche Sachkunde besitzen, ein Unfallgeschehen unfallanalytisch zu begutachten, noch z.B. aus eigener Sachkunde den unfallbedingt entstandenen Fahrzeugschaden feststellen können.
2. Sachverständigengutachten von Amts wegen
Rz. 8
Eine Aufklärung von Amts wegen kommt demgegenüber nur ausnahmsweise gem. § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO in Betracht. Es handelt sich um eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung des Gerichts, ob es ein Sachverständigengutachten von Amts wegen anordnet. Hierbei sind neben dem berechtigten Interesse der Parteien an der Aufklärung des streitigen Sachverhalts auch die Interessen der nicht beweisbelasteten Partei zu berücksichtigen, da im Zivilverfahren grundsätzlich der Beibringungsgrundsatz gilt.
Rz. 9
In der Praxis wird das Gericht diese Ermessensentscheidung daher regelmäßig dergestalt umgehen, dass es gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO auf einen sachdienlichen Beweisantrag hinwirkt. Ein solches Vorgehen dient auch der Wahrung der Dispositionsmaxime der Parteien, da es im Einzelfall auch im Interesse einer Partei liegen kann, von einem entsprechenden Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen.
III. Beweisbeschluss als "Aufgabenliste" des Sachverständigen
Rz. 10
Gelangt das Gericht entweder aufgrund eines ausdrücklichen Beweisantrittes der beweisbelasteten Partei oder in den Fällen des § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO von Amts wegen zu dem Entschluss, dass es zur Entscheidung des Rechtsstreits auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens ankommt, so ordnet das Gericht die Einholung eines solchen Gutachtens durch einen Beweisbeschluss an.
Dieser Beweisbeschluss stellt nicht nur die grundsätzliche Anordnung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens dar, sondern dient zugleich auch a...