1. Anspruchsgrundlage
Rz. 5
Bei F1 soll im Fallbeispiel ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt bestehen.
2. Bedarf der F1
a) Bedarfsbestimmendes Einkommen des M in Bezug auf F1
aa) Kein Vorwegabzug des Unterhalts für das Kind aus zweiter Ehe
Rz. 6
Das Kind K ist aus der zweiten Ehe und somit nach Rechtskraft der Scheidung der ersten Ehe geboren. Der Unterhalt für das Kind hat somit die ehelichen Lebensverhältnisse der ersten Ehe nicht geprägt.
Rz. 7
Das BVerfG hat hierzu in seiner Entscheidung, mit der die "Wandelbarkeit" der ehelichen Verhältnisse verneint wurde, nicht ausdrücklich Stellung genommen. Das BVerfG hat offen gelassen, ob nachehelich geborene Kinder einen Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen haben, der eine Berücksichtigung des Unterhalts bei der Bedarfsbestimmung der geschiedenen Ehefrau gestattet (vgl. hierzu Fall 33, siehe § 9 Rdn 1).
Rz. 8
Ausdrücklich abgelehnt hat das BVerfG nur die Berücksichtigung von Ehegattenunterhalt. Jedoch wurde vom BGH zwischenzeitlich entschieden, dass für die ehelichen Lebensverhältnisse auf die Rechtskraft der Scheidung im Sinne eines Stichtages abzustellen ist.
BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09
Die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB werden grundsätzlich durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetreten sind (Stichtagsprinzip). Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf die Bedarfsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären oder in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren (im Anschluss an BVerfG FamRZ 2011, 437).
Rz. 9
Der Stichtag ist somit auch für die Berücksichtigungsfähigkeit neuer Unterhaltspflichten maßgebend.
BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09
Nach dem Stichtagsprinzip werden die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich jedenfalls durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eintreten. Hierbei ist grundsätzlich auch das Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter bis zur rechtskräftigen Ehescheidung zu berücksichtigen.
Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats sowohl für gemeinsame Kinder als auch für Kinder des Unterhaltspflichtigen aus einer neuen Beziehung, die bereits vor Rechtskraft der Ehescheidung geboren sind. Dies gilt selbst dann, wenn die Kinder inzwischen volljährig und nach § 1609 Nr. 4 BGB gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nachrangig sind. Dies gilt auch für den Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB, den die Mutter eines vor Rechtskraft der Ehescheidung geborenen nichtehelichen Kindes schon während der Ehezeit von dem unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten verlangen kann.
Die Unterhaltspflichten für neue Ehegatten sowie für nachehelich geborene Kinder und den dadurch bedingten Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB sind nicht bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berücksichtigen.
Auch der Vorteil des Zusammenlebens des Klägers in seiner neuen Ehe kann sich nur im Rahmen der Konkurrenz des Unterhaltsanspruchs seiner neuen Ehefrau mit dem Unterhaltsanspruch der Beklagten im Rahmen der Leistungsfähigkeit auswirken, nicht hingegen auf die gebotene Bedarfsbemessung im Wege der Halbteilung der ehelichen Lebensverhältnisse.
Rz. 10
Der Unterhalt für das nach Scheidung der Ehe von M und F1 geborene Kind von M und F2 ist also bei der Bestimmung des Bedarfs der ersten Ehefrau nicht abzuziehen.
bb) Kein Vorwegabzug des Ehegattenunterhalts für F2
Rz. 11
F2 ist zwar, wie noch zu zeigen ist, vorrangig, doch haben Rangfragen erst bei der Leistungsfähigkeit Bedeutung. Die Unterhaltsverpflichtung aus der zweiten Ehe hat naturgemäß auch nicht die Lebensverhältnisse der ersten Ehe geprägt.
BGH, Beschl. v. 25.9.2019 – XII ZB 25/19 Rn 32
Allerdings bleibt nach der Rechtsprechung des Senats eine nacheheliche Entwicklung, die keinen Anknüpfungspunkt in der Ehe findet, ohne Auswirkung auf den Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Dies gilt grundsätzlich insbesondere für die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten, die erst nach der Scheidung der ersten Ehe eintreten kann (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn 26 m.w.N. und Senatsbeschluss vom 7.5.2014 – XII ZB 258/13, FamRZ 2014, 1183 Rn 15 m.w.N.).
Hinweis
Bei der Bestimmung des Bedarfs der zweiten Ehefrau wird jedoch der Unterhalt für die erste Ehefrau zu berücksichtigen sein (siehe unten).
Rz. 12
Vom Einkommen des M ist also für die Ermittlung seines bedarfsbestimmenden Einkommens gegenüber F1 lediglich der Erwerbstätigenbonus abzuziehen.
Bereinigtes Nettoeinkommen des M: 3.000 EUR
Erwerbstätigenbonus M: 3.000 EUR × 10 % = 300 EUR
Bedarfsbestimmendes Einkommen M: 3.000 – 300 EUR = 2.700 EUR
b) Bedarfsbestimmendes Einkommen der F1
Rz. 13
bereinigtes Nettoeinkommen der F1: 500 EUR
Erwerbstätigenbonus F1: 500 EUR × 10 % = 50 EUR
Bedarfsbestimmendes Einkommen: 500 – 50 EUR = 450 EUR
c) Keine Bestimmung des Bedarfs von F1 nach der Dreiteilungsmethode
Rz. 14
Die Bedarfsermittlung erfolgt nicht durch die Dreiteilungsmethode (vgl. Fall 33, siehe § 9 Rdn 1).
BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, Leitsatz
Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelte Rechtsprechung zu...