Florian Aigner, Dr. Gabor Mues
a) Keine Anwendung von § 25 HGB, § 75 AO
Rz. 193
Bei einem Erwerb aus der eröffneten Insolvenz finden die Vorschriften über die Haftung wegen Firmenfortführung (§ 25 HGB), sowie über die Haftung für rückständige Steuerschulden des erworbenen Unternehmens (§ 75 Abs. 1, Abs. 2 AO) keine Anwendung. Auch eine Anfechtung des Veräußerungsvertrages bzw. der vorgenommenen Verfügungen nach §§ 129 ff. InsO ist nicht zu befürchten.
b) Eingeschränkte Anwendung von § 613a BGB
Rz. 194
§ 613a BGB ist grds. anwendbar, d.h. insb. gehen die mit dem übernommenen Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber über (Bestandschutzfunktion).
Allerdings haftet der Erwerber grds. nicht für die bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Ansprüche der Arbeitnehmer. Weiter haftet der Erwerber nur für die nach Insolvenzeröffnung entstandenen Betriebsrentenansprüche, und zwar unabhängig davon, ob die Versorgungsanwartschaft bei Insolvenzeröffnung bereits unverfallbar oder verfallbar war. Für Altersteilzeit-Entgelte haften Erwerber nur, wenn es sich hierbei um Masseforderungen handelt.
Der Erwerber haftet allerdings als Gesamtschuldner mit dem Insolvenzverwalter für die Ansprüche auf Zahlung des Arbeitsentgeltes, die zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Stichtag für den Betriebsübergang entstanden sind. Daher ist darauf zu achten, dass nicht aufgrund von Vertragsregelungen und Absprachen der Zeitpunkt für den Betriebsübergang nicht vor die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt wird.
Rz. 195
Die bei Insolvenzeröffnung bestehenden Ansprüche nehmen als einfache Insolvenzforderungen am insolvenzrechtlichen Verteilungsverfahren teil.
Hinweis
Trotz des zwingenden Charakters des § 613a BGB sind nach der Rspr. des BAG in engen Grenzen Gestaltungen zulässig, wodurch die Rechtsfolgen des § 613a BGB gemindert werden können. Hier kommt in der Praxis insb. das Instrument einer sog. Transfergesellschaft (früher: Beschäftigungs- und Qualifikationsgesellschaft – BQG) in Betracht, um die Risiken des § 613a BGB zu minimieren. Ziel der Transfergesellschaft ist es, die Arbeitnehmer beruflich weiterzubilden und auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Die Arbeitnehmer schließen mit dem Insolvenzverwalter noch vor dem Betriebsübergang einen Aufhebungsvertrag und zeitgleich einen befristeten Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft (dreiseitiger Vertrag); der Inhalt der Altverträge ist nicht maßgeblich. Ein Teil der Arbeitnehmer wird dann (regelmäßig zu schlechteren vertraglichen Bedingungen) von dem Erwerber neu eingestellt. Das BAG hat hierin selbst bei sehr kurzer Verweildauer in der Transfergesellschaft keine unzulässige Umgehung des § 613a BGB gesehen. Ein Aufhebungsvertrag sei nur dann wegen gesetzwidriger Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a BGB unwirksam, wenn zugleich ein neues Arbeitsverhältnis zum Betriebsübernehmer vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wird, denn dann trage der Arbeitnehmer kein Risiko. Wirksam sei dagegen ein Aufhebungsvertrag, wenn die mit einer solchen Vertragsgestaltung verbundenen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sachlich berechtigt sind. Das könne bei Abschluss eines dreiseitigen Vertrages unter Einschaltung einer Transfergesellschaft zur Vermeidung einer Insolvenz der Fall sein.