Rz. 10
Bei Abfindungsverhandlungen stehen sich in der Regel ungleiche Partner gegenüber, die mit unterschiedlichen Mitteln für ihre Sache kämpfen:
Rz. 11
Auf der einen Seite der gänzlich unerfahrene Geschädigte, dem sein mehr oder weniger erfahrener, mit dem Thema ggf. nur hin und wieder konfrontierter Anwalt zur Seite steht, und auf der anderen Seite der routinierte, mit der Materie bestens vertraute und speziell geschulte Großschadenregulierer des ohnehin finanziell übermächtigen Versicherers. Letzterer ist ein nicht zu unterschätzender Fachmann, der – im Gegensatz zum Anwalt – täglich mit der Materie umgeht.
Rz. 12
Tipp
Dieses Ungleichverhältnis kann und muss der Anwalt, der Großschäden bearbeitet und Abfindungsverhandlungen durchführt, unbedingt durch Teilnahme an den vielfältigen Fortbildungsveranstaltungen, regelmäßige Lektüre der Fachliteratur und maximales Verhandlungsgeschick ausgleichen. Dazu gehört auch die beste Vorbereitung von Regulierungsgesprächen mit Versicherungsregulierern. Kein noch so erfahrener Anwalt sollte die Erfahrung und die vielfachen Taktiken der Versicherer unterschätzen, Schadensregulierer sind in der Regel deutlich besser "im Stoff" als der Geschädigtenvertreter.
a) Belehrungspflichten
Rz. 13
Vor dem Hintergrund der eingeschränkten Aufhebungsmöglichkeit eines Abfindungsvergleichs ist vor seinem Abschluss zur dringenden Vorsicht zu raten. Der für den Geschädigten tätige Anwalt hat umfangreiche Beratungspflichten. In jedem Falle benötigt der Anwalt die Zustimmung seiner Partei (BGH zfs 2002, 127 ff. = DAR 2002, 63). Daher muss er den Mandanten zuvor ausführlich über den Inhalt des beabsichtigten Vergleichs informieren und ihm alle ersichtlichen Vor- und Nachteile sowie die Gefahren eines solchen Abfindungsvergleiches vor Augen führen und erläutern.
Rz. 14
Zudem ist der Mandant insbesondere auf die grundsätzliche Verbindlichkeit des Vergleichs und die von ihm übernommenen Risiken hinzuweisen. Bei einem unklaren Krankheitsverlauf bzw. nahe liegenden Komplikationen muss sich der Anwalt ein aktuelles Bild über den Gesundheitszustand des Mandanten geben lassen.
Rz. 15
Auch hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten genau darüber aufzuklären, welche Art von Schadensersatzansprüchen abgegolten wird. Insbesondere wenn anfangs nur Verhandlungen über einen Schmerzensgeldanspruch geführt werden, ist bei Übernahme auch materiellrechtlicher Schadenspositionen in den Abfindungsvergleich gesondert darauf hinzuweisen.
Rz. 16
Dem Mandanten sollte immer die ausdrückliche Entscheidung überlassen bleiben und selbstredend kein Vergleich ohne seine Zustimmung geschlossen werden. Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt von dem Abschluss eines solchen (vorbehaltlosen) Vergleichs i.d.R. abraten, wenn ärztlicherseits die Möglichkeit einer Verschlimmerung erheblicher Verletzungen attestiert worden ist und darf ggf. lediglich einen Vorbehaltsvergleich abschließen (Nugel, a.a.O. S. 191).
Rz. 17
Er haftet für seine vorwerfbaren Versäumnisse gegenüber dem Mandanten z.B. dann, wenn er den Mandanten pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt hat, dass er wegen des Wortlautes des Vergleichs keine Ansprüche mehr wegen eines zukünftigen materiellen Schadens hat (BGH zfs 2002, 127 ff. = DAR 2002, 63). Oftmals ist es schon ein Fehler, dem Mandanten überhaupt zum Abschluss eines Abfindungsvergleiches zu raten. Hierin ist also ein hohes Regressrisiko begründet.
b) Checkliste
Rz. 18
Folgende inhaltlichen Fragen sollten bei jeder Beratung vor dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs angesprochen werden (nach Nugel, zfs 2006, 192):
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Welche Schadenspositionen werden erfasst (materiell/immateriell)? |
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Welche Ansprüche könnten demgegenüber dem Mandanten zustehen? |
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Zahlt der Versicherer einen "Risikozuschlag"? |
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Erfasst der Vergleich (wie im Regelfall) auch derzeit nicht erkennbare, aber mögliche Folgeschäden? |
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Bei längeren bzw. unregelmäßigen Behandlungen: Immer über den aktuellen Gesundheitszustand des Mandanten informieren und ggf. nachfragen. Wenn ein ärztlicher Hinweis auf mögliche Folgeschäden besteht: Im Zweifel von einem solchen Vergleichsabschluss ausdrücklich abraten. |
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In jedem Fall muss der Hinweis erfolgen, dass im Zweifel eine falsche ärztliche Auskunft im Risikobereich des Mandanten liegt. |
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Immer ist auf die Verbindlichkeit des Abfindungsvergleichs hinzuweisen, welche nur in eng begrenzten Ausnahmefällen aufgehoben werden kann. |
Rz. 19
Aus Gründen der Beweissicherung sollte diese Aufklärung gegenüber dem Mandanten schriftlich erfolgen. Das kann z.B. auch in einem Begleitbrief erfolgen, weil der Mandant den Brief ja in jedem Fall erhalten haben muss. Er kann zur Sicherheit auch mit einer zurückzusendenden Quittung verbunden werden.
Rz. 20
Die zentralen Rechtsausführungen zu der Wirkung eines Abfindungsvergleichs lassen sich dabei zeitsparend als Musterdatei erstellen und ggf. als Kern für jede Beratung wieder verwenden. Auch die Einholung notwendiger Informationen zu dem Gesundheitszustand des Mandanten sollte aus Beweissicherungsgründen im Zweifel immer schriftlic...